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Filmkritik
Der Titelfigur dankt der Film seine Faszination. Der griechische Dichter Kazantzakis ist ihr Schöpfer, sein Landsmann Cacoyannis hat sie auf der Leinwand nachgezeichnet. Kazantzakis, Cacoyannis - und Anthony Quinn. Für den letzteren, den Schauspieler Quinn, wird diese Verfilmung zum Triumph. Zwar ist er Mexikaner seinem Herkommen nach, doch der Film könnte einen auf den Gedanken bringen, er müsse dem Dichter Modell gestanden haben. Sorbas und Quinn sind nicht auseinanderzuhalten. Und der Zuschauer gerät gleich dem Engländer, den sich der bärtige Geselle zum "Boß" aussucht, in den Bann seiner Gestalt. Mit jenem zusammen fühlt er sich betroffen von der Vitalität dieses Mannes, die allen rationalen Lebensverständnisses zu spotten und in ihrem Ungestüm die Grenzen der Welt sprengen zu wollen scheint. Alexis Sorbas ist ein Geschöpf der Dichter-Phantasie. In ihm nimmt eine Sehnsucht Gestalt an, die ungestillt in jeder Zivilisation lebt: Sehnsucht nach Rückkehr zum Ursprung, nach Aufhebung der Spannung zwischen Körper und Geist. In Kazantzakis` Roman steht darum Sorbas das buddhistische Nirwana gegenüber, die Abtötung des Körpers und das Zurücksinken ins Nichts. Zwischen den beiden Idealen sieht sich der Erzähler - der Dichter schreibt in der Ich-Form - hin- und hergerissen. Und was er letztlich sucht, das ist die Freiheit, seine innere Freiheit. Der Film freilich nimmt gegenüber der Vorlage nicht nur eine Raffung der Handlung vor, er vermindert auch die Erzählung um eine Dimension. Der stille junge Mann, der da seine Schriftstellerei an den Nagel gehängt hat, um auf Kreta Braunkohle abzubauen, er scheint passiv den Vaganten aus Mazedonien zu erdulden. Von einer vorgegebenen Entzweiung seiner Seele, von einer "Flucht vor den Ideen", ist nicht die Rede. Im Roman ist von Anfang an das geistige Abenteuer der Zweck des ganzen Unternehmens, und Sorbas ist sich darin bald einig mit seinem "Boß". Im Film scheint der Engländer die Bocksprünge seines Begleiters vorerst nur in Kauf zu nehmen als Marotten eines Originals. Diese Veränderung geht aber nicht etwa zu Lasten der Darsteller. Auch Alan Bates vollbringt, so schweren Stand er neben Quinn hat, eine vorzügliche und intelligente Leistung. Die Abstriche sind bereits im Drehbuch vorgenommen, es wird nicht mehr um die Situation des Menschen schlechthin gerungen, sondern nur eine Attacke geführt gegen den Krämer Verstand. Anspielungen, die über diese Grenze hinausweisen, bleiben dem unverständlich, der den Roman nicht kennt.
Von der ersten Begegnung an schlägt den Engländer die Unbeirrtheit in Bann, mit der Sorbas das Leben als ein Fest nimmt, obwohl es ihm, wie er selber sagt, als eine einzige Schererei erscheint. Dieser Mann hat keine Zeit zum Grübeln, er muß leben; es fehlen ihm die schönen Worte, um darüber zu philosophieren, aber er weiß zu tanzen. In den Augenblicken höchster Lust und in denen tiefsten Schmerzes überläßt sich Sorbas dem Tanz und spricht sich damit von der Seele, womit sein Kopf nicht fertig wird. Sein Tanz schafft ihm Befreiung, wo der Engländer als Gedanken-Mensch sinnt, fragt und keine Antworten findet. Aus solcher Gegenüberstellung erklärt sich die mächtige Anziehungskraft des Mazedoniers. Seiner Kreatürlichkeit haftet der Ruch des Ursprünglichen, des Ungebrochenen an. Gleich einer Nabelschnur verbindet ihn seine unverkümmerte Leiblichkeit mit dem Puls der Mutter Natur.
In chorisch stilisierter Anordnung gruppiert sich um die Hauptfiguren herum die Dorfgemeinschaft der kleinen kretischen Siedlung: eine Welt dumpfen Wahns und mörderischer Gier. Der unbändigen Lebensfreude Sorbas` treten hier ebenso urtümliche zerstörerische Kräfte entgegen. Das Verlangen nach ihrem Körper treibt die Männer zum Mord an einer schönen Witwe. Das Verlangen nach Besitz macht die gespenstische Schar der Klageweiber zur plündernden Horde, noch ehe die mit dem Tode ringende, abgetakelte alte Tänzerin den letzten Schnauf getan hat. Es sind, neben dem Schluß, die eindrucksmächtigsten Szenen des Films. Denn in ihnen wird die Grenze sichtbar, an der sich die Kraft des Mazedoniers bricht: der körperliche Zerfall, Alter und Tod. Daß die Würmer des Menschen Bestimmung sind, gesteht er ein mit Bitterkeit, aber er spuckt dieser Aussicht ins Gesicht. Trotz, ein Zug verzweifelter Auflehnung, kommt von da her in seine Äußerungen überschäumender Vitalität. Nicht zufällig wird im Roman auf den gestürzten Erzengel Bezug genommen. In diesem Sorbas erscheint der Mensch wohl dem Ursprung näher, aber zugleich auch unerlöst. Daraus ergibt sich, von der Regie in einem kantigen Bildstil herausgearbeitet, die kraftvolle Spannung, die dieses Porträt durchwaltet. Zugleich aber entzieht es sich so gewissermaßen der Verbindlichkeit und weicht in eine dem Zuschauer fremde, ihn freilich durch ihre Exotik fesselnde Welt aus. Die Befreiung, die sich an dem Engländer schrittweise vollzieht, die ihn gleichsam aus dem Schattenreich der Gedanken in eine Welt von Fleisch und Blut zurückführt, ist an diese besondere Situierung der beiden Protagonisten gebunden.