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Animale

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Ein starkes feministisches Manifest, das Western und Body-Horror kombiniert: Animale zeigt eine junge Frau, die ihren Platz in einer von Männern dominierten Welt finden muss, und spielt dabei gekonnt mit der Metapher der Bestie. Die Camargue ist eine für traditionellen Stierkampf berühmte Region. Dort trainiert die 22-jährige Nejma als einzige Frau unter vielen Männern für den bevorstehenden Stierkampf-Wettbewerb. Während die Saison in vollem Gange ist, versetzt die Nachricht von einem frei laufenden wilden Stier die Gemeinschaft in Angst und Schrecken. Junge Männer kommen auf brutale Art ums Leben, doch die Bestie ist nirgends zu finden.

Leider gibt es keine Kinos.

Einsam reitet Nejma (Oulaya Amamra) durch die staubige Prärie. Erst in der folgenden Einstellung offenbart sich, dass sie Teil einer größeren Gruppe von Viehhirten ist, die gerade eine Herde Stiere zusammentreibt. Kaum wurden die Tiere eingefangen, halten die Männer ein wild zappelndes Kalb fest, dem Nejma ein Brandzeichen ins Fell drückt. In solchen Momenten ist die junge Frau zwar Teil eines eingespielten Teams, wird in den Bildern aber immer wieder vom Rest der Gruppe isoliert.

Das deutlich spektakulärere Schauspiel der Viehhirten findet dann vor Publikum statt. Auch wenn der Film „Animale“ von Emma Benestan zunächst wie ein Western aussieht, spielt er in Wahrheit im Süden Frankreichs. Die „Corsa camarguenca“ erfreut sich hier großer Beliebtheit und zählt mittlerweile auch zum immateriellen Kulturerbe des Landes. Es ist eine Art Stierkampf, bei der sich weiß gekleidete „Stierstreifer“ behutsam dem Tier nähern, um eine zwischen seinen Hörnern befestigte Kette zu entfernen – und sich dann mit der Trophäe möglichst schnell in Sicherheit zu bringen. „Animale“ inszeniert diesen Sport als konzentriertes, furchtloses Ritual, bei dem die kleinste Unachtsamkeit verheerende Folgen nach sich ziehen kann.

Ein langer Blickwechsel

Nejma ist bei diesen Kämpfen anfangs zögerlicher als ihre Kollegen. Dass sie als Frau eine Außenseiterstellung einnimmt, ist zunächst zweitrangig. Zwar finden es alle selbstverständlich, dass sie nach dem Saufgelage die Gläser zusammenräumt, doch bei den provokativen Angebersprüchen in der Umkleide steht sie ihren männlichen Kollegen in nichts nach. Sich wirklich öffnen kann sie sich aber nur dem schwulen Tony (Damien Rebattel), der seit einem Unfall mit einem Stier arbeitsunfähig ist.

Mit der Zeit wird der Graben zwischen Nejma und ihren Kollegen aber immer tiefer. Während ihr die Männer immer fremder vorkommen, werden ihr die Tiere umso vertrauter. Es beginnt mit langen Blickwechseln zwischen Nejma und dem Stier Tonnère. Nachdem sie sich nach einer drogengeschwängerten Nacht plötzlich an nichts mehr erinnert, verändert sich auch ihre Wahrnehmung und ihr Körper. So nimmt sie unerträglich laute Schmatzgeräusche wahr, während die anderen Viehhirten ein Steak verdrücken. Zudem beginnt ein mysteriöser Stier nach und nach die Viehhirten zu töten. An den Möglichkeiten, diese Gruselgeschichte spannend zu erzählen, zeigt sich „Animale“ allerdings wenig interessiert. Die Morde geschehen schnell und ohne viel Aufhebens.

Was die Regisseurin im Sinn hat, deutet sich hingegen schon im Titel an. „Tier“ lautet der übersetzte Titel, wobei die weibliche Form benutzt wird, die es im Französischen bei diesem Wort gar nicht gibt. Benestan verschmilzt also das Animalische mit dem Weiblichen und nutzt das Animalische als Metapher, um vom Weiblichen zu erzählen. Die patriarchale Repression wird im Stier symbolisiert, der von den Männern gefangen, geschmückt und bezwungen wird. Für Nejma ist das Tier zugleich Leidensgenosse und ungebändigte Naturgewalt, die sich gegen die Unterdrückung auflehnt.

Düster-atmosphärische Breitwandbilder

In den letzten Jahren wurde das Genre des Body-Horrors meist dazu genutzt, um gesellschaftliche Stigmatisierung und identitätspolitische Fragen zu thematisieren. Prominent etwa von der Regisseurin Julia Ducournau, mit deren Kameramann Ruben Impens Benestan in „Animale“ zusammenarbeitet. Impens’ düster-atmosphärische Breitwandbilder zählen zu den Höhepunkten des Films. Die Choreografien zwischen Mensch und Natur wirken flüssig, und die raue, weite Landschaft wird so präsentiert, als könnten dort allerlei Geheimnisse lauern.

Als feministischer Body-Horror fällt „Animale“ allerdings zu buchstäblich und eindimensional aus. Benestan begnügt sich mit der zentralen Allegorie, die aber nicht originell genug ist, um den ganzen Film zu tragen. Sie läuft auf eine naheliegende Enthüllung hinaus, die dem aufwändigen Aufbau von „Animale“ nicht gerecht wird. Auf seine Genre-Dynamik will sich der Film dabei nicht so recht einlassen. Zugleich aber zeichnet er die Protagonistin nicht komplex genug, um ihre psychische Zerrissenheit als Fundament für die Geschichte nutzen zu können. Nejmas Charakter wird nur grob umrissen; sie vermisst ihren Vater und will sich von der Mutter abkapseln, um ihren eigenen Weg zu gehen und sich behaupten. All das wird aber nur kurz erwähnt. Die Persönlichkeit der jungen Frau bleibt blass. Der Kampf zwischen männlicher Unterdrückung und weiblichem Widerstand gerät damit unweigerlich zu allgemein und stereotyp.

Veröffentlicht auf filmdienst.deAnimaleVon: Michael Kienzl (13.10.2025)
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