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Around The World in 14th Films: Yakushima’s Illusion

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Die Kamera schwebt über den Wolken und taucht dann in das magische Reich eines Zedernwalds ein. Sonnenlicht bricht durch die Zweige, taktile Blicke erkunden Baumstämme und Wurzeln; dazwischen sieht man die sanften, fast schon ätherischen Berührungen eines Paars. Vom Inneren eines Baums und untermalt mit dem pochenden Klang eines Herzschlags geht es fließend über zum Bild einer Operation am offenen Körper. Die japanische Regisseurin Naomi Kawase setzt im Intro von „Yakushima’s Illusion“ den Ton und das Thema. Sensuelles Erleben, die Natur als Wunder, das Leben in all seinen Daseinsformen. Licht, Mensch, Flora und Fauna, Körper und Seele, Wurzelsystem und menschliches Organ.

Zugleich da und ganz woanders

Im Zentrum steht aber dann doch eine Perspektive von außen. Corry (Vicky Krieps) ist eine Ärztin aus Paris, die an einem Krankenhaus in Kobe Herztransplantationen bei Kindern betreut. Krieps spielt sie als eine Frau, die zugleich menschliche Wärme und Zerstreutheit ausstrahlt: als sei sie zugleich da und doch ganz woanders. Nicht nur in der japanischen Gesellschaft bleibt sie trotz ihres zurückhaltend-sensiblen Wesens ein Fremdkörper. Corry scheint nirgends zugehörig zu sein. Eine in Luxemburg ohne Mutter aufgewachsene Französin, die zwischen Französisch mit Akzent, Englisch und Brocken von Japanisch wechselt. 

Naomi Kawase braucht dieses Außen, weil sie zwei in der japanischen Gesellschaft verfestigte Sachverhalte befragen will. Das eine ist das Tabu der Organspenden – erst der Stillstand des Herzens gilt als „wirklicher“ Tod. Das andere ist das unter dem Begriff Jōhatsu bekannte Phänomen des spurlosen Verschwindens. Jährlich tauchen in Japan etwa 100.000 Personen von einem auf den anderen Tag ab; die Gründe sind meist gesellschaftlicher Druck und Scham, manchmal auch missbräuchliche Beziehungen oder kriminelle Verstrickungen. Beide Themen, das Spenden eines Organs und das Verschwinden, haben nichts miteinander zu tun, oder zumindest nur über den Weg verschiedener Gedankenbewegungen, die der Film aber auch gar nicht unternimmt. So stehen sie etwas sperrig nebeneinander.

Von fundamentalem Missverstehen geprägt

In Rückblenden, die den Krankenhausalltag wiederholt unterbrechen, entfaltet sich Corrys Beziehungsgeschichte mit dem enigmatischen Fotografen Jin (Kanichiro Sato), dem sie drei Jahre zuvor als Rucksacktouristin auf der Insel Yakushima begegnete. Die Beziehung ist innig und zart – und doch von fundamentalem Missverstehen geprägt – „I don’t understand“, sagt Corry wiederholt zu Jin, der in den Tag hineinlebt, während sie im Krankenhaus gegen die Zeit kämpft. Kawase mystifiziert seine Figur; sie gibt Jin die Aura des Rätselhaften. Sein plötzliches Verschwinden nach einer intensiven Zeit des Zusammenlebens wird so aber gar nicht kulturell verstehbar, es erscheint vielmehr als individuelles „Problem“.

Während die Erinnerungen an Yakushima gelegentlich in den Kitsch abrutschen – touristisch wirken die rasanten Drohnenaufnahmen über die Zedernwälder, die Hayao Miyazaki als Inspiration für seinen Anime-Film „Prinzessin Mononoke“ dienten –, mutet das Krankenhausgeschehen fast dokumentarisch an. Über die kulturellen Hintergründe, die in Japan mit Fragen der Organspende einhergehen, erfährt man bei einem Vortrag Corrys vor realem Fachpersonal, das sich bei der anschließenden Diskussion zu Wort meldet.

Das Herz eines Kindes

Der Emotionalität und Rührseligkeit der teils tränenreichen Szenen mit den schwerkranken (von Schauspieler:innen verkörperten) Kindern und ihren Familien kann man sich nur schwer entziehen. Hibashi, ein neu auf der Station angekommener Junge, hat sich gerade mit einem Mädchen angefreundet, als es unerwartet stirbt. Ein Paar verarbeitet den Verlust seines Kindes, indem es anderen Betroffenen mit Bento-Boxen Trost spendet. Unweit von Yakushima bricht plötzlich ein Kind beim Spielen zusammen und fällt ins Koma. Als der Gehirntod eintritt, müssen die Eltern entscheiden, ob sie das Herz einem anderen Kind überlassen.

Eben dieses Herz aus Kagoshima, das dem kleinen Hibashi ein neues Leben schenken soll, steht im Zentrum des letzten Teils. Das Finale ist fast ein eigenes Drama, das neben existenziellen Erschütterungen von Kindern und Eltern durch einen Taifun zusätzlich Aufruhr erhält. Auch Corrys Herz wird geheilt.

Veröffentlicht auf filmdienst.deAround The World in 14th Films: Yakushima’s IllusionVon: Esther Buss (18.8.2026)
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