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Filmplakat von Attenberg

Attenberg

96 min | Drama | FSK 12
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Marina ist Anfang zwanzig und lebt mit ihrem todkranken Vater in einem verlassenen Küstenort. Nur die heruntergekommenen Industrieanlagen zeugen noch davon, dass die Stadt früher einmal mit Leben gefüllt war. Heute ist die Umgebung so abweisend und unzugänglich wie Marina selbst. Die junge Frau sieht gerne Tierdokumentationen im Fernsehen, hört Lieder über Selbstmorde und hält sich von Menschen fern. Das scheint sich auch nicht zu ändern, als sie jemanden kennenlernt.

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Filmkritik

Und dann fragst du mich, was schaust du am liebsten an? Und ich sage: Naturfilme. Weil man da sehen kann, wie schön die Welt und was die Tiere tun, wohin die Vögel ziehn, wenn es kalt wird in Berlin.“ Als Funny van Dannen vor vielen Jahren (auch) mit diesem Lied reüssierte, ahnte man noch nichts von der Finanzkrise Griechenlands und auch nichts von der „Neuen Welle“ des jungen griechischen Films, die aktuell gerne beschworen wird, weil davon hierzulande so wenig zu sehen war. Das soll sich jetzt ändern: mit „Attenberg“ von Athina Rachel Tsangari und „Alpen“ von Giorgos Lanthimos kommen binnen kurzer Zeit gleich zwei Filme in einige deutsche Kinos, die von der Kraft und der Fantasie eines unabhängigen „Krisenkinos“ erzählen. Dass „Attenberg“ bislang auf internationalen Festivals für Furore sorgte und die wirklich beeindruckende Ariane Labed auf dem Festival von Venedig 2010 (!) mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet wurde, hat allerdings auch damit zu tun, dass der Film neuen Wein aus alten Schläuchen kredenzt. Überhaupt muss man ja erst einmal wieder Bilder von und für Griechenland entwerfen (jenseits der schwerfälligen Symbolismen eines Angelopoulos und auch jenseits der putzigen Provinz-Komödien à la „Kleine Verbrechen“, fd 39 336), Bilder, die die Gegenwart „bezeichnen“ können. Da kommt die hintersinnige, mehrfach kodierte Coming-of-Age-Geschichte, die „Attenberg“ erzählt, gerade recht. Hinter dem – für einen Film aus Griechenland ungewöhnlichen – Filmtitel verbirgt sich eine Verballhornung des Namens von Sir David Attenborough, dessen Tierdokumentationen die junge Marina gleichermaßen faszinieren, wie sie sie bei der Entwicklung einer eigenen sexuellen Identität behindern. Marina nimmt ihren eigenen Körper und ihr Begehren gewissermaßen durch die präformierte Brille der Anthropologie und der Zoologie wahr: Sie artikuliert sich durch Tier-Imitationen, gern auch in Gemeinschaft. Durch die auf der Straße choreografierten Tier-Imitationen als „Funny Walks“ à la Monty Python akkumuliert der Film Momente von Performance-Kunst, was ihm eine gehörige Portion verfremdender Theaterhaftigkeit einschreibt. Dazu passen die ritualisierten Wortgefechte, die sich Marina mit ihrem Vater und ihrer Freundin Bella leistet. Wenn Marina und Bella mit ihren Motorrollern und Dufflecoats durch die Stadt cruisen, wirken sie wie Versprengte, wie aus der Zeit gefallene Mods, die sich in der Diaspora zurechtfinden müssen. Was ihnen bleibt, sind anachronistische Erkennungszeichen wie Tischfussball oder Musik aus den Pop-Sixties (Francoise Hardy) und den New Wave-Seventies (Suicide). Genau wie diese Bricolage etwas eklektizistisch wirkt, so arbeitet auch der Film „Attenberg“ und changiert damit zwischen kindlicher Regression und Industrie-Tristesse á la Antonioni. Während Marina immer souveräner in ihr Leben hineinfindet, stirbt ihr Vater an Krebs – und der Abschied vom Vater fällt zusammen mit dem Abschied vom 20. Jahrhundert (wie es Angelopoulos in Szene gesetzt hat). Einmal treffen sich Vater und Tochter über den Dächern der im Verfall begriffenen Industriestadt, die wohl einmal ein utopisches Experiment gewesen ist. Der Vater spricht resigniert-lakonisch von bourgeoiser Arroganz, „speziell für ein Land, das die industrielle Ära ausgelassen hat: von Schäfern zu Bulldozern und Bergwerken zu kleinbürgerlichen Eruptionen. Wir errichteten eine Industriekolonie auf Ställen und dachten, wir machen Revolution.“ Marina aber, die „modernistische Optimistin“, findet die Eintönigkeit entspannend. Einmal spielt sie in diesem Film mit ihrer Freundin Bella Tennis, und die Art und Weise, wie diese Szene fotografiert (Kamera: Thimos Bakatakis) und montiert ist, erinnert an das imaginäre Tennis in „Blow Up“. So treibt „Attenberg“ lustvoll Angelopoulos mit Antonioni aus und schafft aus diesem Befreiungsakt heraus etwas, das so erfrischend ist, wie es der elektronisch skelettierte Rock’n‘Roll von Suicide um 1980 war. Um es in diesem Sinne stilsicher mit Jefferson Airplane zu formulieren: „One generation got old / One generation got soul“. Und während eine Generation die Träume des 20. Jahrhunderts zu Grabe trägt und stirbt, bastelt sich die nächste Generation eine Identität, aber keine Utopie aus Pop-Versatzstücken, inmitten der Industriebrachen, die die Väter hinterlassen haben. Einmal heißt es in „Attenberg“, dass Griechenland nicht zum Balkan gehört habe. Aber wozu es gehört hat und aktuell gehört, das scheint in der Schwebe und – positiv formuliert – völlig offen. Einen ästhetischen Eindruck davon vermittelt „Attenberg“.

Erschienen auf filmdienst.deAttenbergVon: Ulrich Kriest (21.5.2025)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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