








- Veröffentlichung28.08.2025
- RegieJulian Wittmann
- ProduktionDeutschland (2025)
- Dauer94 Minuten
- GenreDokumentation
- Cast
- AltersfreigabeFSK 0
Vorstellungen










Filmkritik
„Wie kann ich ein glückliches Leben führen?“ Diese Frage treibt den Filmemacher Julian Wittmann schon länger um. Er hat offensichtlich die Nase voll vom Stress in der modernen Informationsgesellschaft, von Zeitdruck, Überforderung, Inflation, Selbstoptimierung und Zukunftsangst, kurzum vom täglichen Hamsterrad. Kein Wunder, wenn er ans Aussteigen denkt, nicht nur befristet, sondern für immer. Da liegt es nahe, sich erstmal die Erfahrungen eines notorischen Aussteigers anzuschauen und anzuhören. Zum Beispiel diejenigen des 83-jährigen Wolfgang Clemens alias Gangerl, der die Hälfte seines Lebens auf den Weltmeeren und Erkundungszügen auf Land verbracht hat. „Das ist der freieste Mensch der Welt“, sagt Julian Wittmann über den Abenteurer und Einhandsegler.
Umso stolzer ist er, dass Gangerl seiner Anfrage zugestimmt hat, ihn mit einem Kamerateam auf seiner Yacht „Bavaria II“ begleiten zu dürfen. Schließlich segelt der seit 36 Jahren über die Ozeane und erkundet die letzten paradiesischen Flecken der Erde. Aktuell will er das Filmteam mitnehmen auf einen Trip nach Westpapua. „2000 Seemeilen sind für Gangerl doch kein Problem, oder?“, konstatiert der Dokumentarfilmregisseur nach einem ersten Treffen in einem Hafen in Bali.
Kneift der Einzelgänger?
Doch dann ist Gangerl über Nacht verschwunden. In Julian nagt der Zweifel. Kneift der Einzelgänger? Fällt der Film ins Wasser, bevor er angefangen hat? Höchst beunruhigt führt der Regisseur ein Videotelefonat mit seinem Bruder Thomas, der den Film von Deutschland aus produziert und ihn darauf hinweist, dass ein Hauptdarsteller nicht versicherbar ist. Die aus Bayern stammenden Brüder haben sich im Jahr 2020 in ihrem Langfilmdebüt „Ausgrissn! In der Lederhosn nach Las Vegas“, einem Road-Movie-Mix aus dokumentarischen und fiktionalen Elementen, schon einmal mit dem Aussteigen befasst, indem sie ihre Abenteuerfahrt mit zwei Oldtimer-Mopeds von Erding nach Las Vegas festhielten.
In Bali haben die Wittmanns Glück: Gangerl taucht nach drei Tagen wieder auf. Angeblich war er zwei Tage betrunken und hat dann mit sich gehadert. Nun kann es endlich losgehen. Dass die drei Monate lange gemeinsame Bootsfahrt auf engstem Raum kein Zuckerschlecken wird, ist früh absehbar. Schließlich ist Gangerl seit Jahrzehnten gewohnt, weitgehend allein zu reisen. Schon beim ersten Treffen mit dem Regisseur sagt er leise wie zu sich selbst: „Was habe ich mir mit euch angetan? Mein Gott!“
Von 1988 bis heute auf Weltreise
Geboren 1941 in Breslau, aber aufgewachsen in Bayern, schloss Gangerl eine Kunstschmiedelehre ab, gründete im oberpfälzischen Roding eine erfolgreiche Schlosserei und baute ab 1975 nebenbei mehr als 12 Jahre an einer eigenen Segelyacht. 1988 brach er mit seiner damaligen Freundin Renate auf diesem Boot zu einer Weltreise auf, die sozusagen bis heute anhält. Bisher hat er mehr als 100.000 Seemeilen auf dem Wasser und mit dem Rucksack rund 180.000 Kilometer durch 131 Länder zurückgelegt. Auf seinen Trips geriet der Langzeitreisende mehrfach in Lebensgefahr, wurde ausgeraubt und landete zeitweise im Gefängnis.
Seine Erlebnisse hielt er bisher in drei Bänden seiner Buchreihe „Der Paradiesjäger“ fest. Seine Fahrten und die Reparaturen an der Yacht finanziert er zudem mit Vorträgen, in denen er auch Videos zeigt, die er unterwegs gedreht hat. Einige Video-Auszüge sind auch in die Chronik der Wittmann-Brüder eingeflossen, etwa über die frühen Reisen Gangerls mit seiner damaligen Lebensgefährtin. Merkwürdigerweise fehlen im Film aber Verweise darauf, dass der Protagonist zwei Mal verheiratet war und drei Kinder hat.
Gegliedert wird „Ausgsting“ durch Einblendungen wie „Tag 3“ oder „Tag 7“, die einzelne Stationen der Fahrt nach Westpapua beleuchten. Zudem werfen Inserts mit Zitaten bekannter Persönlichkeiten kommentierende Schlaglichter auf die Ereignisse, etwa ein Aphorismus des römischen Philosophen Seneca kurz vor Reisebeginn: „Wie glücklich man am Lande war, merkt man erst, wenn das Schiff untergeht.“
Das Alleinsein als große Freiheit
Als „Erzähler“ fungiert der Regisseur selbst, der in der Ich-Form seine Gedanken und Gefühle einbringt. So bekundet er seinen Frust, dass er und Gangerl bald keine Worte mehr wechseln und der Freigeist die Motive für sein Aussteigerdasein nicht wirklich preisgeben mag. Wenn man von einer schweren Enttäuschung in seiner Heimatgemeinde absieht, nach der er sich ein Leben in Deutschland nicht mehr vorstellen konnte. Immerhin erläutert der Weltenbummler, warum er das Alleinsein genießt, das für ihn die „große Freiheit“ bedeutet: „Ich bin ein großes Ego, und in einer wahren Liebschaft darf man kein Ego sein.“
Je länger die gemeinsame Reise dauert, umso mehr verschiebt sich der Fokus vom Porträt eines Aussteigers zur Selbstreflexion eines Filmemachers über seine Arbeit und umso klarer wird für Julian, dass er mit falschen Erwartungen und Illusionen an das Projekt herangegangen ist: „Es gibt kein Rezept für das Aussteigen und Glücklichsein.“
Vor allem im letzten Drittel der eher unspektakulären Bootsfahrt mehren sich Redundanzen und Längen. Da hilft auch der gallige Humor des Weltenbummlers nicht viel, der gerne mal im bayerischen Tonfall derb flucht. Immerhin sorgt ein herrenloses Fischernetz, das den Propeller der Yacht stilllegt und damit den Trip gefährdet, kurz vor Schluss noch einmal für Abwechslung und Spannung. Wie es Gangerl gelingt, das Problem durch eine clevere Idee zu lösen, zeugt von dem enormen Improvisationstalent, das einer haben oder sich aneignen muss, wenn er Jahrzehnte allein auf hoher See überleben will.