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Filmkritik
Kneift man die Augen zusammen, könnte man den dunkelhaarigen Mann, der es mit einem ganzen Team aus Profikillern aufnimmt, für Keanu Reeves halten. Mit einer Mischung aus Nahkampf und wildem Schusswaffengebrauch überwältigt er die Angreifer, die in sein Haus eindringen, ganz ähnlich wie John Wick im ersten Teil der Reihe. „Ballerina“ tänzelt, mit wechselnder Anmut, um ikonische Momente der eigenen Filmreihe herum, sei es der Einbruch ins Haus, die obligatorische Nachtclub-Szene oder ein Besuch im Continental-Hotel. Stets mit leichten Abwandlungen, aber dennoch mit dem klaren Auftrag: keine großen Experimente, sondern einfach noch mehr „John Wick“ für die Fans, die immer noch keine Lust haben, diese Welt hinter sich zu lassen.
Der Ausgangspunkt für „Ballerina“ ist eine Rachegeschichte, die noch klassischer ausfällt als beim Vorbild. Als kleines Kind muss Eve (Ana de Armas) mitansehen, wie ihr Vater umgebracht wird. Warum der mysteriöse Strippenzieher (Gabriel Byrne) das getan hat, erfährt sie erst viele Jahre später. In der Zwischenzeit findet sie Zuflucht bei den Ruska-Roma, einem Familienclan, der junge Mädchen zu Tänzerinnen und Attentäterinnen ausbildet. Nach ihrer Lehre macht sich Eve auf den Weg, um den Mörder ihres Vaters zu finden. Dabei läuft sie vielen Figuren aus dem „John Wick“-Kosmos über den Weg und stößt auf die Wurzeln einer weitaus größeren Verschwörung.
Ein Action-Feuerwerk
Die Produktion von „Ballerina“ war von einer endlos langen Liste von Komplikationen begleitete. Ständig wurden neuen Drehbücher verlangt, es gab katastrophale Testvorführungen und unzählige Nachdrehs. Das Projekt schmorte so lange in der Postproduktions-Hölle, dass sogar der 2023 verstorbene Lance Reddick noch alle seine Szenen abdrehen konnte. Doch die finale Version von „Ballerina“ ist nicht so chaotisch ausgefallen, wie man befürchten musste, auch wenn die Nähte des Flickenteppichs an vielen Stellen nicht zu übersehen sind. Themen werden aufgegriffen und wieder fallengelassen, Figuren verschwinden im Nirgendwo, und einige Szenen wurden offensichtlich nur behalten, weil die Action zu aufwendig war, um sie wegzulassen.
All die bedeutungsschweren Gespräche können dabei nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stuntchoreografie mit größerer Sorgfalt konzipiert wurde als die Dialoge. Das ist möglicherweise auch Resultat der Publikumsbefragungen, die angeblich nach mehr Action verlangten. Was wie eine Kapitulation klingen könnte, war vermutlich ein Befreiungsschlag: Nach über fünf Jahren Entstehungszeit voller gegensätzlicher Visionen fiel die Entscheidung, dass „Ballerina“ in erster Linie ein Actionfeuerwerk werden sollte; alles andere musste sich hintanstellen.
Die enge Bindung zur „John Wick“-Reihe ist für den Film gleichermaßen Vorteil und Hindernis. Von Vorteil ist, dass der Film seine Actionsequenzen mit sicheren Händchen abfeuern kann. Das „John Wick“-Modell bietet eine verlässliche Blaupause, um eigene Ideen in eine vertraute, temporeiche Bildästhetik zu packen. Das schon etablierte Universum bietet zudem genug Eigenheiten, um die Kreativität anzukurbeln. Doch genau diese Welt mit all ihren Figuren und Wirrungen wird dem Film auch zur Last. John Wick hatten den enormen Vorteil, dass er seine Welt in seinem Tempo erkunden durfte. Der erste Teil präsentierte eine simple Handlung mit aufregender Action und kleinen Einblicken in eine geheime Gesellschaft, die in den folgenden Episoden ausgeschmückt wurde. „Ballerina“ will einerseits der Simplizität des ersten Teils, aber auch der komplexen Vielfalt aller nachfolgenden Werke gerecht werden. Wo diese Ansprüche aufeinanderprallen, verbiegt sich die Story, um das Gewicht der Filmwelt tragen zu können. Nicht ohne Grund steht der Titel „Ballerina“ erst hinter der mächtigen Ansage „From the World of John Wick“.
Das Charisma der Hauptdarstellerin
Darunter leidet auch die Protagonistin, die ihre eigene Geschichte der von John Wick unterordnen muss. Der Film hat kein Interesse, ihr mehr Tiefe zu verleihen als nötig ist, um von einer Actionszene zur nächsten zu gelangen. Was an Profilierung fehlt, wird durch Kampfsequenzen aufgefüllt, denn hier liegt Eves wahres Talent: Personen kreativ umzubringen und dabei stylisch auszusehen. Das Charisma von Ana de Armas zahlt sich hier aus, die schon in „James Bond: Keine Zeit zu sterben“ bewiesen hat, dass sie das Zeug zur Actionheldin besitzt und sich in „Ballerina“ nun ebenfalls sehr kompetent durch Horden von Gegnern kämpft.
Die Auswirkungen, die „John Wick“ auf das Action-Genre hatte, sind auch über zehn Jahre nach seinem Debüt deutlich zu spüren. Mittlerweile gibt es dermaßen viele Filme, die sich an der Reihe orientieren, dass man daraus ein eigenes Subgenre ableiten könnte. „Ballerina“ vermag die großen Fußstapfen seines Vorbildes zwar nicht ganz auszufüllen, doch die Ballettschuhe reichen aus, um sich gegen die Flut von Klonen zu behaupten. Mit all seinen Unzulänglichkeiten schafft es der Film, einen in ein Universum zu schleudern, das sich zwar nicht ganz so gut anfühlt wie das Original, aber weit besser als die vielen Alternativen. Im letzten Akt gelingt es sogar, aus der bloßen Nachahmung der John-Wick-Reihe auszubrechen und eigene Akzente zu setzen. Das Finale ist dermaßen überzeichnet, dass es an manchen Stellen zur Komödie wird.
Ein absurder Showdown
Die Dreistigkeit, eine reale Kleinstadt unter echtem Namen als Austragungsort für diesen absurden Showdown auszuwählen, macht die Sache noch amüsanter. Spätestens wenn es zum Duell zwischen Flammenwerfer und Feuerwehrschlauch kommt, ist klar, dass hier nicht über die Dualität der Menschheit nachgedacht, sondern lediglich ein Stück Actionkino auf die Leinwand gebracht werden soll.