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Brennnesselbad

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Szenebild von Brennnesselbad 1
Unter Wahrung der Kontaktbeschränkungen entstand während der Coronapandemie in 44 Drehtagen dieser Spielfilm im Dreier-Team: Als ihr Vater verschwindet, gibt Kim nur einer die Schuld: ihrer Mutter. Also läuft sie los – zu Fuß, ohne Plan, quer durch Deutschland – auf der Suche nach Abstand, Antworten und vielleicht einem neuen Anfang mit ihrem Vater.

Leider gibt es keine Kinos.

Janina Lutter, Stefanie Barth und Sofia Ayerbe Fiala studierten am Dieburger Mediencampus in Darmstadt und gaben auf ihrem YouTube-Kanal „Take 19“ Tipps an Filmstudierende, flankiert von eigenen Talentproben, von Kurzfilmen bis zu Musikvideos. Der Schwerpunkt lag auf Coming-of-Age- und Freundschaftsthemen. Während des Lockdowns erweiterten sie ihr Spektrum um Sujets wie Einsamkeit und Gender-Fragen. 2022 fand das Projekt mit den Vorbereitungen für die Bachelor-Abschlussfilme des Trios ein Ende. Lutter entwickelte den Kurzfilm „Die Schule brennt und wir wissen warum“, während Barth und Fiala die lesbische Dreiecksgeschichte „The Last Time We Broke Up“ realisierten.

Ein Jahr zuvor entstand Janina Lutters erster Langfilm „Brennnesselbad“, gedreht in 44 Tagen im kleinen Team unter den erschwerten Bedingungen der Pandemie. Sie übernahm auch die Rolle der Protagonistin Kim, die nach nicht abreißenden Konflikten mit der Mutter und einem Streit mit ihrer Freundin abhaut, um ihren Vater zu besuchen, der nach der Trennung von der Mutter verschwunden ist. Zuvor flog sie auch noch von der Schule, weil sie dabei erwischt wurde, wie sie Feuer legen wollte.

Einmal quer durchs Land

Kim schneidet sich die langen Haare ab, versteckt ihr Smartphone im Wald und zieht mit gestohlener Ausrüstung zu Fuß von Frankfurt durch den Odenwald bis zum Arendsee, wo ihr Vater in einem Wohnwagen lebt. Unterwegs trifft sie auf wilde Tiere und eine ältere Wanderin, ernährt sich von Konserven und vergiftet sich mit Waldfrüchten, was sie zwingt, in einem Hotel zu übernachten, in dem sie einer lesbischen Angestellten ihre Probleme beichtet. Einmal gerät sie nachts in eine gefährliche Situation, als ihr eine Gruppe betrunkener Jugendlicher begegnet. Sie sammelt Erfahrungen, genießt die Natur und denkt über das Erwachsenwerden nach. Unterbrochen wird der ruhige Erzählfluss von traumähnlichen Szenen, in denen sie beispielsweise in einem Klatschmohnfeld mit roter Farbe auf dem nackten Körper aufwacht. Aber auch durch Rückblenden, Off-Stimmen, Selbstgespräche und Verweise auf „Alice im Wunderland“.

Die zurückhaltend inszenierte Reise zu sich selbst kommt nicht ohne ziellose Anfängerlängen aus, die einen radikalen Schnitt gebraucht hätten. Das gilt auch für die unausgereiften Dialoge, die wohl durch den beherzten Einsatz von Indie-Musik kaschiert werden sollten. An Dynamik gewinnt das Coming-of-Age-Road-Movie durch die Ankunft beim Vater, der seine Tochter keineswegs mit offenen Armen empfängt. Er schätzt sein Leben abseits der Zivilisation zu sehr, um sich auf Zweisamkeit einlassen zu wollen. Als er der Minderjährigen das Autofahren beibringt, nutzt sie enttäuscht und gereift eine Gelegenheit und fährt mit dem Wohnwagen in eine neue Zukunft mit ihrer Freundin.

Wo Dinge nachklingen können

Die quälenden Zwänge und Konflikte, die sie fortgetrieben haben, scheinen überwunden. Kim ist um die Erkenntnis reicher, dass sie selbst die Verursacherin ihrer Nöte war. Deshalb braucht es zum Schluss auch kein Brennnesselbad mehr, das ihr der Vater empfohlen hatte, weil es ihm in seiner eigenen schwierigen Jugend einst als Mutprobe geholfen hatte. Sie nabelt sich von ihrer kleinen Familienwelt ab, in der sich die Fäden der Geschichte entwirren.

Die Regie platziert dabei immer wieder atmosphärische Momente wie eine Flussfahrt als Übergang, bei dem das Gesagte und Gefühlte nachklingen kann. Das zeugt von Talent und weckt Interesse an mehr.

Veröffentlicht auf filmdienst.deBrennnesselbadVon: Alexandra Wach (5.9.2025)
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