








- Veröffentlichung30.10.2025
- RegieYorgos Lanthimos
- ProduktionKanada (2025)
- Dauer118 Minuten
- GenreKomödieScience FictionThriller
- AltersfreigabeFSK 16
- IMDb Rating6.9/10 (696) Stimmen
Cast
Vorstellungen










Filmkritik
Und die Erde ist doch eine Scheibe, sagt uns Yorgos Lanthimos, allerdings augenzwinkernd, und wir sitzen alle in einer Blase – wie auf Camille Flammarions berühmt-berüchtigtem Holzstich von 1888, der einen neuzeitlich neugierigen Pilger zeigt, der die Grenzen (vielleicht auch die Pforten) der Wahrnehmung entdeckt und staunend durchstößt, um dahinter neue Realitäten zu erfahren – einer Wahrnehmung, die wir Heutigen wohl am ehesten mit der kruden Ideologie US-amerikanischer Flacherdler assoziieren. Ob sie ebensolche sind, bleibt in „Bugonia“ (bewusst?) im Vagen, doch der vermeintlich stets kritische Teddy (Jesse Plemons) und sein gemütlicher gearteter Cousin und Komplize Don (Aidan Delbis) sind auf jeden Fall arge Verschwörungstheoretiker. Sie glauben sogar allen Ernstes daran, dass Außerirdische, versteckt in menschlicher Form, längst unter uns sind.
Eines von diesen Aliens, eine veritable „Königin“ in Teddys Augen, hat er in der Chefin eines Chemie- und Pharmakonzerns, Michelle (Emma Stone), identifiziert. Teddy arbeitet prekär als Paketschnürer für ein Subunternehmen ihres Biotech-Konzerns, just jenes, dessen fragwürdige Medizinprodukte seiner Mutter Sandy (Alicia Silverstone) einst schweren Schaden zufügten. In seiner Freizeit ist er Imker – und in dieser Eigenschaft naturgemäß auch kein Freund der Pharmaindustrie; er macht sie für das grassierende Bienensterben verantwortlich. Es fallen, dieser überaus zeitgemäßen Thematik geschuldet, viele Triggerwörter bereits in der Exposition von „Bugonia“: Es ist die Rede von „vor“ und „nach der Pandemie“; es gilt, „die Macht der Konzerne“ zu zerschlagen, deren obere Chargen die Gesellschaft in Geiselhaft nähmen wie ein „Virus“ – und sehr rasch (und allzu schlicht) haben Teddy und Don ihre Welt in „wir“ und „jene“ zweigeteilt.
Der Drohn und seine Königin
Der Film wäre allerdings kein echter Lanthimos, Meister der so originellen wie intelligenten Sujets und ihrer kongenialen Präsentation, würde er nicht mit subtilen filmästhetischen Mitteln das vordergründig Gezeigte gleichsam kommentieren und also so etwas wie einen mitunter gegenläufigen Subtext dazu kreieren: Die einer extraterrestrischen Herkunft verdächtigte Michelle offenbart vor Robbie Ryans Kamera bei ihrer täglichen paramilitärischen Morgenroutine tatsächlich beinahe unmenschliche Züge: in ihren eleganten, uniformähnlichen Kostümen, ihrer makellos schönen, aber glatten Oberfläche (die sie fast wie ein Objekt, ein begehrenswertes Spielzeug erscheinen lässt) sowie in ihrer rigorosen Disziplin sich und allen anderen gegenüber. Teddy wiederum, der radikale Individualist und Konzernskeptiker, hat eine Schwäche ausgerechnet für staatenbildende, streng hierarchisch-arbeitsteilig organisierte Kleinlebewesen – der Drohn und seine Königin …
Paramilitärisch agieren nun auch er und Don, als in ihnen der Plan reift, aktiv zu werden, Michelle zu überfallen, zu entführen und durch sie als Geisel ein für alle Mal den vollständigen Rückzug aller Aliens vom Planeten Erde zu erpressen. Zu ihren Vorbereitungen gehört – und dadurch wird erneut offenbar, wie tief wir uns hier im US-amerikanischen Herzland befinden, dem historisch-mythologischen wie dem allzu zeitgenössischen – die Herrichtung eines entlegenen, heruntergekommenen Farmhauses mit Folterkeller und viel Alu hinter den Fenstern. Dort hält Teddy verschwurbelte Vorträge zum Weltgeschehen, es gibt linkischen Trimm-dich-Frühsport, um im entscheidenden Moment in Form zu sein (vom dicklichen Don nur ungern geübt) sowie den Verzicht auf Sex und Reproduktion ganz allgemein durch chemische Selbstkastration – zur totalen Fokussierung auf die Mission. Dieses hier eher beiläufig eingeführte Motiv, das gut von Michel Houellebecq inspiriert sein könnte, schließt an eine Lieblingsthematik von Yorgos Lanthimos an, die fragwürdig, ja unmöglich gewordene menschliche (vor allem männliche) Sexualität (wie etwa auch in „The Lobster“), äußerst produktiv kurz mit dem modernen soziologischen Phänomen der „Incels“, der unfreiwillig und sexlos allein Gebliebenen, in „späten“ Gesellschaften wie den USA oder Japan.
Keinen Kontakt zum Mutterschiff
Es setzt hochgradig in Erstaunen, dass es diesem ungleichen Gespann tatsächlich gelingt, die fitte und toughe Michelle gefangen zu nehmen. Wichtig ist nun vor allem, ihr die Haare zu scheren (arme, tapfere, immer noch schöne Emma Stone!) und sie von Kopf bis Fuß mit Fettcreme einzuschmieren – damit sie keinen Kontakt zu ihrem „Mutterschiff“ aufnehmen kann! Sodann unterzieht Teddy sie einigen recht wahllosen Folterungen – vorgeblich, um ihr das Geständnis ihrer außerirdischen Herkunft und Wesensart abzupressen, ziemlich deutlich jedoch auch, um an ihr das Schicksal seiner Mutter zu rächen. Teddy und Don beginnen als „idealistische“ Terroristen in der Nachfolge Dostojewski’scher Helden oder der ersten Generation der RAF, mit dem großen, guten Endzweck für alle im Blick – und enden als erbärmliche Freaks, denen unter Wut und Tränen der Verzweiflung ihre absurde Agenda unter den Händen zerfällt.
Beide haben dabei darstellerisch starke Momente: Jesse Plemons darf in einer Szene beweisen, dass Teddy wohl doch nicht vollständig aller Leidenschaften ledig ist, wenn er quer über den Esstisch Michelle an den Hals fährt, als er bereits ahnen muss, dass sein Kalkül (wenn man es denn so nennen möchte) nicht aufgeht. Aidan Delbis’ Don ist (noch) erbarmungswürdiger: Ausgenutzt, missbraucht von dem etwas Clevereren gerät er in eine aussichtslose Lage. Tragikomisch zu sehen, wie er, der kaum geradestehen und ein Gewehr halten kann, die selbst in ihrem Elend „königliche“ Michelle „außerirdischen Abschaum“ schimpft (man muss sich ja abgrenzen, um jeden Preis).
Spagat gelungen
Lanthimos ist der schwierige formale Spagat von filmischem Essay über die essenziellen ökologischen und gesellschaftskritischen Themen unserer Zeit und absurdem Science-Fiction-/Fantasy-Märchen gut gelungen – weil er an entscheidenden Stellen (schrägen) Humor beweist und sein Projekt mitunter sogar ins Licht leiser Selbstironie setzt. Es vollendet schließlich die Tragik seiner beiden Helden von der traurigen Gestalt, dass sie Ende und Auflösung von „Bugonia“ leider verpassen (müssen), denn sie waren da – so unglaublich es auch erscheinen mag – auf einer ziemlich heißen Spur!
Die nahezu Shakespeare’sche Ansprache, mit der Michelle schlussendlich ihren kahlen Kopf aus der Schlinge zieht, ist ein Meisterstück politischer Rhetorik – und als solche Ausweis genug, dass sie, die Wirtschaftspolitikerin, so weit von „den Menschen“ entfernt ist wie ansonsten eben nur Außerirdische – und ebenso tödlich! Der beinahe traurige, melancholische Blick, mit dem sie im Schlussbild, nachdem sie gänzlich mit sich identisch geworden ist, unser aller einzige, kostbare Blase ultimativ zum Bersten bringt, ist unbezahlbar – aber auch unwiederholbar.



