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Filmkritik
Klara (Sabine Timoteo) ist nicht mehr von dieser Welt. Wie eingefroren bleibt sie auf einer Verkehrsinsel stehen und starrt ins Nichts. Einem geregelten Leben kann sie nicht mehr nachgehen. Ihren Job im Hotel hat sie aufgegeben, ihre Möbel verschenkt. So streift sie nun entrückt durch ihre leere Wohnung oder ruht in sich gekehrt auf dem Hausdach. Da sie bei Menschen keinen Anschluss mehr findet, sucht sie die Nähe von Vögeln und Pflanzen. Allerdings nimmt ihre Abwendung vom Diesseits mit der Zeit immer besorgniserregendere Züge an. Bis Klara sich so weit in sich zurückgezogen hat, dass sie sogar zu essen aufhört.
Diese enigmatische Figur steht im Zentrum von „Chaos und Stille“, wenngleich auch nur indirekt. Denn was Klara antreibt, wohin ihre Reise geht und ob ihr Zustand ein reinigendes Loslösen von weltlichem Ballast oder nicht doch eher ein massives psychisches Problem ist, das behält der Film von Anatol Schuster für sich. Klaras Weigerung, am durchgetakteten Alltag teilzunehmen, soll vielmehr die Krisen der modernen Gesellschaft offenlegen. In Darmstadt, wo sich jeder zwangsläufig zu ihr verhalten muss, ist sie bald Stadtgespräch.
Von der Welt abgeschottet
Der Film konzentriert sich insbesondere auf den jungen Komponisten Jean (Anton von Lucke) und seine Frau, die Pianistin Helena (Maria Spanring). Klara ist die Besitzerin ihrer Wohnung; sie erlässt dem finanziell angeschlagenen Paar plötzlich die Miete – auf Lebenszeit. Jean sitzt gerade an einer Komposition über Stille, was wie eine Sisyphos-Arbeit wirkt. Wie möchte man etwas hörbar machen, was sich gerade durch Abwesenheit auszeichnet? Der sensible Musiker hat meist große Kopfhörer auf, um sich vom Lärm der Großstadt zu isolieren. Der Film erzählt vom Chaos, das unser Leben bestimmt, und von der Ruhe, nach der wir uns sehnen. Die Kopfhörer kennzeichnen Jean jedoch auch als weltfremden Künstler, der sich vermeintlich großen Idealen verschrieben hat, während sich seine überforderte Frau allein um das neugeborene Kind kümmern muss.
„Chaos und Stille“ weitet seinen Blick regelmäßig und lässt wie in einem Wimmelbild auf die immergleichen Figuren treffen: auf einen einfühlsamen Psychotherapeuten, auf Klaras cholerischen Chef oder einen Obdachlosen mit Aluhut. Darüber versucht der Film mit Nachdruck eine vielfältige und inklusive Gesellschaft abzubilden. Ein schwarzer, jedoch weitgehend stummer Liebhaber Klaras taucht unvermittelt auf, und ein Junge mit migrantischem Hintergrund trägt vor dem Spiegel dick Lippenstift auf. Bei solchen Momenten verhält es sich aber ähnlich wie mit Jean, als er von gehörlosen Schülern erfahren will, wie sich Stille anfühlt: Es wirkt mehr wie eine Pose denn aufrichtiges Interesse. Letztlich geht es dem Film um ein von Weltschmerz gebeuteltes weißes Bürgertum.
Bitte keine Änderungen!
Das müsste an sich noch kein Nachteil sein. Doch „Chaos und Stille“ widmet sich seiner Gesellschafts- und Gegenwartsdiagnose mit so dickem Pinselstrich, dass er konsequent an der Oberfläche bleibt. Die Welt ist hier von extremen Gegensätzen bestimmt: Idealismus und Bürokratie, Angepasstheit und Freiheit, Egoismus und Solidarität. Das Ideal des Films scheint ein bequemer Mittelweg zu sein: ein wenig Reflexion, aber ohne bittere Einsichten oder gar der Aufforderung zur Veränderung.
Misslungen sind vor allem die satirischen Momente, die süffisant das Bild einer leicht erregbaren und zutiefst gespaltenen Gesellschaft zeichnen wollen, dabei aber auf liebloseste Stereotype zurückgreifen. Auf den ersten Blick interessant ist hingegen die offene, fließende Erzählweise, die sich mehr auf Momente als große Handlungsbögen konzentriert. Vor allem dank der Kamera von Julian Krubasik und der Musik von Henrik Ajax entfaltet sich „Chaos und Stille“ mitunter auf organische Weise. Das ändert allerdings wenig daran, dass der Film inhaltlich erratisch, vage und ziemlich banal bleibt. Klara, die fast eine religiöse Aura umgibt, wirft letztlich keine großen Fragen auf, sondern wird zur bloßen Projektionsfläche für die Erlösungswünsche ihrer Mitbürger.