





- Veröffentlichung20.11.2025
- RegieStéphane Sorlat
- ProduktionFrankreich (2024)
- Dauer88 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 6
- IMDb Rating6.2/10 (27) Stimmen
Vorstellungen










Filmkritik
Bevor der Titel „Das Geheimnis von Velázquez“ weiß auf dunklem Grund erscheint, hört man die Stimme von Jean-Paul Belmondo: Der spanische Künstler Velázquez habe im Alter „nichts Konkretes“ mehr gemalt. Er „erfasste nur noch die geheimnisvollen Wechselwirkungen, die Formen und Farben in einer fortwährenden Bewegung ineinander eindringen lassen“. Seine Malerei sei „wie eine luftige Welle, die über die Oberflächen gleitet“. Belmondo spricht Worte des französischen Kunsthistorikers Élie Faure (1873-1937), der den Barockmaler wie einen Impressionisten charakterisiert, also als einen Mann, der um mehr als zwei Jahrhunderte seiner Zeit voraus war. Zu dem aus dem Off eingesprochenen Text aus dem Faure-Band „Histoire de l’art“ sind Bilder einer Waldlandschaft mit Bach zu sehen. Dann folgt ein Umschnitt zur bisher nur akustisch präsenten Szene aus „Elf Uhr nachts“, in der Belmondo, in der Badewanne sitzend, einem Mädchen Faures Zeilen vorliest. Dessen poetische Betrachtungen werden in dem Film von Stéphane Sorlat gleich mehrfach aufgerufen, später auch vorgetragen mit markanter Stimme von dem Schauspieler Vincent Lindon. Am Schluss des Porträts sind Meereswellen zu sehen, und auf der Tonspur erklärt Elie Faure Velázquez (1599-1660) zum „Geheimnisvollsten aller Maler“.
Bei dem Film „Das Geheimnis von Velázquez handelt sich um den dritten Teil einer „Prado-Trilogie“, die Sorlat gemeinsam mit José Luis López-Linares produziert hat, wobei López-Linares für die Regie der Vorgängerfilmen über Hieronymus Bosch und Francisco de Goya verantwortlich war. Das Museo del Prado in Madrid, in dessen Sammlung sich viele Werke der drei Künstler befinden, hat die Trilogie begleitet und auch die Finanzierung unterstützt.
Der Maler der Menschlichkeit
So viel sei im Falle von Velázquez schon verraten: Das „Geheimnis“ des Künstlers wird nicht gelüftet. Dennoch tragen die Historikerinnen, Kritiker, Künstler oder Restauratorinnen, die für den Dokumentarfilm befragt wurden, in der Summe zu einer eindrucksvollen Würdigung der Besonderheit von Velázquez’ Gesamtwerk bei. Man hört gut begründete Einschätzungen wie: „Er ist die Intelligenz der Malerei“, der „Maler der Präsenz“ oder „der Maler der Menschlichkeit“.
Der Film reist nach Sevilla, wo Velázquez im Sommer 1599 geboren wurde und bereits als Zehnjähriger seine Ausbildung als Maler begann. Prägend war vor allem die Lehre in der Werkstatt von Francisco Pacheco del Río, dessen Tochter Juana Velázquez 1618 heiratete. Weitere Abstecher folgen, etwa nach Madrid, wohin der junge Künstler im Jahr 1622 übersiedelte, und nach Venedig, eine wichtige Station der ersten Italienreise, die Velázquez dank der Unterstützung des gut 20 Jahre älteren Peter Paul Rubens antreten konnte.
Obwohl er 1623 zum Hofmaler von König Philipp IV. ernannt wurde und in dieser Position bis zu seinem Tod verblieb, vermied es Velázquez, seine herrschaftlichen Modelle zu idealisieren. Bei Adel und Klerus machte der unerbittliche Naturalismus des Malers nicht halt. Nachdem Papst Innozenz sein um 1650 entstandenes Bildnis inklusive der leicht verbitterten und herrischen Züge sah, soll er „troppo vero“ – „allzu wahr“ ausgerufen haben.
Eine ungeheure Wirkungsgeschichte
Neben Pablo Picasso und Marcel Duchamp kommt auch der irische Maler Francis Bacon im Film vor, der Variationen von Velázquez’ berühmtem Papst-Bildnis schuf – als isolierte Figur, wie lebendig in Farbmasse einbalsamiert, das Gesicht mitunter zum Schrei verzerrt. Bacon habe die Frage der Wahrhaftigkeit, die auch Velázquez umtrieb, noch umfassender auf die Menschheit bezogen, erklärt die französische Kunstwissenschaftlerin Catherine Bernard. Bacon, der 1992 in Madrid starb, wo er eine Velázquez-Ausstellung im Prado besucht hatte, kommt in historischen Clips zu Wort, während zeitgenössische Kunstschaffende für die Dokumentation interviewt wurden. Der bekannteste unter ihnen, der US-Amerikaner Julian Schnabel, spricht hier nur als Maler: „Ich will ihn nicht nachahmen, nur eintauchen in die Klarheit und den Erfindungsreichtum seiner Kunst. Ich versuche etwas zu machen, das annähernd die Wirkung hat, die seine Gemälde auf mich haben“.
Im Kontext einer Auseinandersetzung mit Velázquez im Filmmedium wäre Schnabels Einschätzung als Filmemacher interessant gewesen. Aus diesem Feld gibt es ein paar Anmerkungen von Isabel Coixet und vor allem ein Gespräch zwischen dem Regisseur Agustín Díaz Yanes und seinem Kameramann Paco Femenía vor Velázquez’ Bild „Übergabe von Breda“. Für den Historienfilm „Alatriste“ (2006) hatten die Filmemacher das Gemälde im Greenscreen-Studio nachgestellt. Yanes schwärmt von der „kinematografischen Qualität“ des Gemäldes mit der legendär-rhythmischen, halb vor die Landschaft gezogenen Lanzen-„Gardine“, das für den Regisseur in den angedeuteten Bewegungen zweier Pferde liegt. Im Vordergrund rechts schickt ein Gaul sich mit angewinkelten Hinterhuf an, in die Bildtiefe zu laufen, während ein anderes, zwischen zwei Menschen im Mittelgrund hervorlugendes Reittier in den Vordergrund drängt. Der Kameramann Femenía erklärt den Maler kurzerhand zum Paten des „Chroma Key“-Verfahrens, bei dem im Film getrennt aufgenommene Bildebenen bis heute miteinander kombiniert werden.
Velázquez, bekannt dafür, dass er keine Vorzeichnungen nötig hatte, habe erst die Szene mit den Figuren und Lanzen im Vordergrund gemalt, sich aber über den Hintergrund zunächst keine Gedanken gemacht, mutmaßt Femenía. Letztlich sei da auch „nichts“, findet der Kameramann, „nur lose Pinselstriche“, mit denen Velázquez das Städtchen Breda, die Wasserlandschaft drumherum und den Höhenzug ganz weit hinten in der Tiefe simulierenden Verblauung der Imagination der Betrachtenden überließ. Schon hier, um 1635, gab Velázquez offenbar einen Vorgeschmack für die experimentelle Malerei und die verschwimmenden Konturen seiner Spätzeit.
Selbstporträt mit königlicher Familie
Zum Spätwerk gehört sein berühmtes Werk „Die Hoffräulein“ (1656), von dem bei Sorlat mehrmals die Rede ist und dem der Regisseur exakt in der Filmmitte eine längere Passage widmet. Ein Schlüsselwerk, das laut dem Maler Luca Giordano, der eine Generation jünger als Velázquez war, eine „Theologie des Malens“ offenbare. Im Hofatelier stellte der Maler sich an der Staffelei stehend selbst dar. Im Bildzentrum zeigt sich die fünfjährige Königstochter Margarita, umringt von Hoffräulein und sogenannten „Hofzwergen“. Während der Künstler die Figuren niedrigen Ranges deutlich aufwertet, verbannt er das Königspaar unscharf in einen Spiegel im Bildhintergrund. Wie die Historikerin Araceli Guillaume-Alonso erklärt, wurde „Die Hoffräuleins“ zu einem „Totem“ der spanischen Identität. In einer Folge von Großstadtbildern aus Madrid zeigt Sorlat die Allgegenwart des Gemäldes mit den ausladenden Röcken und Haubenfrisuren – von der Skulptur bis zum Teller- und Schlüsselanhänger-Motiv.
Velázquez’ ungewöhnlich realistische und in psychologische Tiefen blickende Malweise schloss die Marginalisierten seines Umfelds ein, die der Künstler in ihrer Menschlichkeit zeigte. Der Film wirft einige Schlaglichter auf seine von Mitgefühl geprägten Darstellungen der Unterprivilegierten, darunter das „Porträt des Juan de Pareja“, das auf Velázquez’ zweiter Italienreise entstand, zu der er seinen dunkelhäutigen Assistenten Pareja mitgenommen hatte. Der Mitarbeiter, später selbst ein anerkannter Künstler, kam als Sklave in die Werkstatt von Velázquez, der 1650 – im Jahr der Fertigstellung des Porträts – Parejas Freilassung durchsetzte. Das Bild des stolzen jungen Mannes gilt als Meilenstein der Darstellung schwarzer Menschen in der Kunstgeschichte.
Im Schnelldurchlauf
In 90 Filmminuten kann Sorlat die Konzeption und Wirkung solcher Meisterwerke aber nur anreißen. Ein Gemälde wie „Die Spinnerinnen“ (1644-1658), die den mythologischen Webkunst-Wettstreit zwischen Pallas Athene und ihrer Konkurrentin Arachne mit der Arbeit von Textilarbeiterinnen verknüpft, könnte einen eigenen Dokumentarfilm füllen. Zumal der Filmemacher das Werk nach eigenem Bekunden den „Hoffräulein“ vorzieht. Hier aber, in „Das Geheimnis des Velázquez“, muss Sorlat die „Allegorie der Textilkunst“ jedoch im Schnellverfahren abwickeln.
Sorlat hatte allerdings vor, oder wurde im Rahmen der Produktionsverhältnisse dazu gedrängt, jede erdenkliche Facette der Biografie und Rezeptionsgeschichte einzufügen, eine große Werkfülle zu behandeln und möglichst viele Stimmen einzusammeln, die Gewichtiges über Velazquez zu sagen haben. Das führt zu einer Kleinteiligkeit der Struktur, die das Velázquez-Thema mit einer gewissen Oberflächlichkeit behandelt und selten in gedankliche Tiefen vordringt; dafür sind aber auch Banalitäten und Plattitüden dabei. Das Belmondo-Zitat vom Filmbeginn darf man deshalb nicht programmatisch nehmen; es würde ebenso in die Irre führen wie der Versuch, die Filmerzählung mit der Künstlerpoesie von Élie Faure gleichzusetzen. „Das Geheimnis von Velázquez“ ist kein Essayfilm; obschon sehr detailliert und informativ, reicht er nicht über die dokumentarischen Konventionen von Künstlerporträts hinaus. Er macht große Lust auf eine Kunstreise zum Prado nach Madrid, um dem Geheimnis von Velázquez persönlich auf die Spur zu kommen.
