







- Veröffentlichung06.11.2025
- RegieLothar Herzog, Patricia Hector
- ProduktionDeutschland (2025)
- Dauer143 Minuten
- GenreDokumentation
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen









Filmkritik
Es ist im Feld des Dokumentarischen Mode geworden, die Erzählinstanz weitgehend an Kamera, Ton und Montage zu delegieren, um den Zuschauern die Möglichkeit zu geben, sich selbst ein Bild zu machen. Das ist legitim, fordernd und – im Falle des Gelingens – auch spannend, weil es zum eigenen Denken anregt. Als altmodisch und pädagogisch aufdringlich gelten hingegen ältere Stilmittel wie Inserts oder eine Erzählstimme, die den Blick und die Aufmerksamkeit lenken oder auch formen. „Betreutes Zuschauen“ stets unter Manipulationsverdacht.
Bei einem Film wie „Das Ungesagte“ von Patricia Hector und Lothar Herzog, der ausdrücklich aufklärerisch sein möchte, stellt sich jedoch die Frage, ob mehr Struktur und Kontext dem Film nicht zu einer klareren, wirkungsvolleren Dynamik verholfen hätten. Zu Beginn gibt es zwar eine ganze Reihe von Schrifttafeln mit Informationen über „diskriminierende Sprache und Bilder“ sowie ein Zitat von Michel Friedman über deutsche Erinnerungskultur, da für diesen Film Zeitzeugen aus der NS-Zeit befragt wurden, doch diese Hinweise bleiben insgesamt bruchstückhaft und unbefriedigend.
Jetzt, im Nachhinein
In den zweieinhalb Filmstunden begegnet man elf Zeitzeug:innen der Jahrgänge 1920 bis 1936, die ihre Kindheit und Jugend im Zeichen der nationalsozialistischen Diktatur verbracht haben und – so die These des Films –darüber lange nicht gesprochen haben. Die Montage ihrer Aussagen lässt sich grob in fünf Kapitel einordnen: „Die Begeisterung“, „Der Hass“, „Der Krieg“, „Das Schweigen“, „Das Erbe“. Über die Auswahl der Zeitzeug:innen, über ihre biografischen Hintergründe und möglichen Verstrickungen erfährt man nichts. Wer genau zuhört, wird dialektale Einfärbungen erkennen, vielleicht auch elaborierte Codes, die Vermutungen über den Bildungshintergrund zulassen. Aus den Presseinformationen kann man erkennen, dass die Interviewten mehrheitlich aus Südwestdeutschland stammen. Aus der ehemaligen DDR wurde jedoch niemand ausgewählt. Zudem fällt auf, dass diejenigen, die viele Jahrzehnte lang nicht über ihre Erlebnisse gesprochen haben wollen oder sich in bestimmten Situationen teilweise explizit verweigern, andererseits selbst „Vorträge“ gehalten oder ihre Erinnerungen in einem „Büchlein“ veröffentlicht haben.
Wenn man sich achtzig Jahre nach Kriegsende an die Zeit der NS-Diktatur und den Krieg erinnert, geht das ohnehin nur vor der Folie von Jahrzehnten öffentlicher Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit, was sich in der Sprache der Zeitzeug:innen deutlich niederschlägt. Das äußert sich etwa in relativierenden Formulierungen wie „Jetzt, im Nachhinein“, „Hinterher ist man immer klüger“ oder „Das Heroische, das uns präsentiert wurde“. Das Resultat ist entsprechend dialektisch: „Das Ungesagte“ präsentiert nicht das „Ungesagte“, sondern den über Jahrzehnte etablierten Diskurs, der zwischen dem subjektiv Erlebten und dem „Sagbaren“ vermittelt, ohne dabei auf individuelle Schuld und Scham zu rekurrieren.
Unterm Strich dominiert das bekannte Bild: Die Nazis hätten den Jugendlichen interessante Freizeitangebote gemacht – Kleinkaliberschießen, Segelfliegen, Einordnung in vormilitärische Strukturen mit der Option auf Führerschaft. Die Juden seien Teil der Alltagskultur gewesen, die dann allmählich aus dem Alltag verschwunden seien, weil sie sich vielleicht anderswo eine Existenz aufgebaut hätten: „Was wussten wir denn vom Weltjudentum?“ Die Reichspogromnacht, die hier noch so heißt, mit den brennenden Synagogen wird mal bemerkt, mal nicht bemerkt, war aber kein „Familiengespräch“. Das sei „weit weg“ gewesen, habe nicht „berührt oder betroffen“ und sei „für uns Kinder nicht entsprechend aufbereitet worden“.
Deutsche Soldaten und der „Russe“
Der Tonfall ändert sich im dritten Kapitel „Der Krieg“, wo „die Betroffenheit“ deutlich persönlichere Spuren hinterlassen hat. Eine Erinnerung unterstreicht die hermeneutische Komplexität des Projekts, wenn eine Frau sich erinnert, dass sie ihre Mutter und eine Nachbarin am Gartentor habe weinen sehen, „wahrscheinlich, weil sie ahnten, was alles auf sie zukommt“. Zunächst aber sind die männlichen Zeitzeugen unter sich. Den Überfall auf Polen konnte man, weil es sich um deutsche Soldaten handelte, „noch akzeptieren“. Wenn es gegen „den Russen“ ging, musste man einfach nur schießen, schießen, schießen: „Heute kann man sich gar nicht vorstellen, was man da getötet hat!“ Waren eigene Opfer zu beklagen, dann war das „traurig, hat weh getan“. Wenn man „ins Denken kommt“, ist das immer noch ganz präsent und führt zu Schlafstörungen. Hier werden Traumatisierungen sichtbar, wenn sich jemand erinnert und in Tränen ausbricht, abwinkt und das Thema wechselt.
Gleichzeitig ist im Zusammenhang mit der Marine aber auch von „indirekter Gewalt“ die Rede, vom Töten auf Distanz, dessen Wirkungen man sich „besser nicht vorstellte“. Vom Nahkampf ist die Rede, vom Selbsterhaltungstrieb, der Angst, wie es wohl zugeht, wenn „der Russe“ komme. Kindheitserinnerungen gelten den Nächten im Bombenkeller, dem Feuersturm, der durch die Straßen zog, in „dieser ganz schlimmen Nacht“. Erzählt wird, dass man in Bad Segeberg dachte, die Scheune des Nachbarn brenne, bis man erkannte, dass die taghelle Nacht vom weit entfernten Hamburg ausging. Interessant ist auch, dass es ein Polizist war, der als Erster von den Massenerschießungen im Osten erzählte. Dass Juden und sowjetische Kriegsgefangene ermordet wurden, auf Befehl von Offizieren, die im Nachkriegsdeutschland politische Karriere machten, weil niemand etwas wissen wollte. Dass die Erschießungen von Kriegsgefangenen als Angebot, nicht als Befehl kommuniziert wurden. Die Orden, Auszeichnungen und Urkunden sind zur Besichtigung noch immer schnell zur Hand; eine Ansprache von Admiral Dönitz zu den Vorteilen der Lösung der „Judenfrage“ in Kriegszeiten („kein Widerspruch, keine Kritik am Führer“) findet sich in Folie in einem Hefter.
Scham. Schuld. Fehlanzeige
Nach Kriegsende hätte man sich dann nicht getraut zu fragen. Die Eltern hätten geschwiegen. Man hätte bohren können, aber eigentlich gab es kein Bedürfnis, Genaueres zu erfahren. Genaueres als: „Der kleine Mann hat ja nicht erfahren, was da im Großen und Ganzen so los war.“ Falsch informiert sei man gewesen, die Pflicht und der geleistete Eid seien nicht zu unterschätzen. Irgendwo sei man ja schließlich selbst auch ein „Opfer des Reiches“ gewesen. Obwohl sich rückblickend schon ein „gewisses unangenehmes Gefühl“ eingestellt habe.
Aus dem Off bringen die Filmemacher Begriffe wie Scham und Schuldgefühl ins Spiel. Wie es damit aussehe, „aus heutiger Sicht“? Aber sie treffen auf Routine und Abwehr. „Es war ja bekannt: Die wenigsten Männer haben zu Hause etwas erzählt.“ Auch schon nach dem Ersten Weltkrieg. Es gilt: Niemand habe gefragt, niemand habe etwas wissen wollen. Und niemand habe darauf gedrängt, von sich aus zu erzählen. Auf dieser Ebene vermittelt „Das Ungesagte“ kaum etwas Neues, das über den Befund „Opa war kein Nazi!“ hinausgeht. Mit der Enkelgeneration mag sich das geändert haben, wenngleich es hier um des lieben Familienfriedens willen zu einem Schulterschluss von Eltern und Kindern gegenüber den Enkeln gekommen sein mag.
Zu den populären Erzählungen der „Vergangenheitsbewältigung“ wider das „Ungesagte“ gehören üblicherweise ja auch die Fernsehausstrahlung von „Holocaust - Die Geschichte der Familie Weiss“ (1978) und die beiden Wehrmachtsausstellungen (1995/2001), die diesen fragilen „Familienfrieden“ hintertrieben haben. Doch so unstrukturiert „Das Ungesagte“ zu Beginn auch erscheint, so sehr wünscht man sich, dass der Film noch viel insistierender und länger ausgefallen wäre. Damit das „Ungesagte“ nicht länger als Ausrede durchgeht. Als filmische Interpunktion wählen die Filmemacher eindrückliche, spektakulär-unspektakuläre Einstellungen von Nicht-Orten wie Parkplätzen, Straßenecken und Kleinstadtstraßen in der Provinz. Auch als Hinweis auf den Abgrund zwischen dem abrufbaren Geschichtswissen und dem, was „ungesagt“ bleiben wird, wenn man auf das Alter der Zeitzeug:innen blickt.
