






- Veröffentlichung12.06.2025
- RegieArthur Franck
- ProduktionDeutschland (2025)
- Dauer88 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 0
Vorstellungen










Filmkritik
Was bedeutet es, wenn ein Krieg „kalt“ ist und nicht heiß? Man geht einander auf die Nerven, aber nicht an die Gurgel. Das etwa meint „Kalter Krieg“, meint eine finnische Passantin, die das Fernsehen in den 1970er-Jahren für ein Straßeninterview aufschnappt, ganz ähnlich wie in einer Ehe. Auch in der geopolitischen „Ehe“, die der Kalte Krieg war, gab es düsterere und freundlichere Zeiten. Eine der freundlicheren hieß „Détente“, also Entspannungspolitik. Détente ist, wenn Kinder auf Wiesen tanzen, Politiker sich die Hände schütteln, für Fototermine gemeinsam lachen, und sei es auch nur gezwungenermaßen; oder wenn sie auf Konferenzen mit Akronymen um sich werfen.
Lange Reden, viele Bilder
Zum Beispiel auf der „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE), abgehalten in Helsinki. Deren Schlussakte gilt als Schlüsseldokument der Entspannungspolitik. Zumindest in der Rückschau. Womöglich war es eine Sternstunde der Menschheit. Als 1973 die Konferenz in Helsinki eröffnet wurde, begannen einige Konferenzteilnehmer allerdings schon beim ersten Redner zu gähnen. Und es folgten noch viele weitere Redner. Keine der Ansprachen sollte länger als 15 bis 20 Minuten dauern. Aber nicht alle hielten sich dran. Nicolae Ceaușescu redete am längsten, geschlagene 35 Minuten. Seine Kollegen schienen nichts anderes von ihm gewohnt zu sein.
Weltpolitik fühlt sich selten nach Weltpolitik an, während sie sich ereignet. Sie produziert aber Bilder, seit Beginn des Fernsehzeitalters sogar Unmengen von Bildern. Der finnische Regisseur Arthur Franck hat sich durch das Archiv der Bilder gewühlt, die während der KSZE entstanden sind. Viele Stunden Fernsehbildmaterial, das meiste redundant, nicht der Rede wert. Oft spult Franck die alten Videobänder vor.
Und doch lässt sich aus diesem Material Geschichte destillieren. Beziehungsweise: Geschichten. „Der Helsinki Effekt“ verbirgt dabei nicht die Selektivität seines Zugriffs. „Ich weiß erst, was ich gesucht habe, wenn ich es finde“, sagt Franck, der in der Originalfassung den Voice-Over-Kommentar selbst einspricht; in der deutschen Fassung hört man die Stimme von Bjarne Mädel. Andere Suchende würden, kann man ergänzen, nicht dieselben Funde machen.
Eine Art Kuhhandel
Unter anderem stößt Franck, der auch die Vorgeschichte der Konferenz beleuchtet und seine eigene Argumentation zwischendurch auch mit ganz anderen audiovisuellen Fundstücken ergänzt, etwa biologischen Lehrfilmen, auf einen lachenden Leonid Breschnew. Der Generalsekretär der KPdSU war die treibende Kraft hinter der KSZE, die er als Krönung seines politischen Lebenswerks betrachtete; der Film liefert die Vorgeschichte mit, springt aber auf einem adretten Zeitstrahl eifrig hin und her.
So wie der Film die Konferenz nachzeichnet, lief sie auf einen Kuhhandel hinaus. Die Russen erreichten, dass die Grenzziehungen in Europa politisch auch offiziell eingefroren wurden, was sie realpolitisch ohnehin schon waren; und der Westen erreichte, dass sich auch die Russen auf dem Papier dazu verpflichteten, sich für eine Zusammenarbeit über Grenzen hinweg und den freien Fluss von Informationen einzusetzen.
Viel Lärm um nicht viel, könnte man meinen. Doch Franck ist anderer Ansicht. Nicht nur mit Blick auf konkrete Ergebnisse verteidigt er die Kunst der Diplomatie, wobei er durchaus der Ansicht ist, dass die Helsinki-Schlussakte entscheidend zum Niedergang der Sowjetunion beigetragen hat. Franck schätzt Diplomatie auch um der Diplomatie willen. Im Zweifelsfall kann das sogar bedeuten: Diplomatie um eines Weihnachtsgedichts willen. Zwischendurch sah es so aus, als würden gemeinsam verfasste Festtagsverse am Ende das einzige greifbare Ergebnis der Konferenz bleiben.
Stärke und Kraft der Diplomatie
Die KSZE zog sich immer länger hin, was insbesondere Breschnew mehr und mehr auf die Palme brachte. Doch nach drei Jahren bekam Breschnew seinen Willen, war historisch betrachtet dennoch der Verlierer der Konferenz. Diplomatie ist klüger als jene, die sie führen. Vielleicht sogar klüger als Henry Kissinger. Der US-amerikanische Außenminister ist neben Breschnew die zweite Hauptfigur des Films. Man sieht ihn deutlich seltener, hört ihn aber umso öfter. Beziehungsweise man hört eine KI-generierte Stimme, die Kissinger-Sätze spricht, welche nur in Papierform erhalten sind, in alten Akten, die inzwischen für die Öffentlichkeit wieder zugänglich sind.
Kissinger macht sich keine Illusionen über die Diplomatie. Für ihn ist Diplomatie Machtpolitik. Ein Spiel, das man spielen muss, um seine Interessen durchzusetzen. Die KSZE-Konferenz? Schrecklich langweilig. Mag ja sein, wendet Franck ein, der seinen Film zwischendurch fast wie ein Zwiegespräch mit Kissinger inszeniert; aber gerade in dieser Langeweile zeigt sich die Stärke und Kraft der Diplomatie. Wer sich gemeinsam langweilt, geht sich zumindest nicht an die Gurgel.
Alles ändert sich
Man kann sich darüber streiten, wie ergiebig eine solche Erkenntnis in der aktuellen Zeit tatsächlich ist, angesichts von Akteuren, die schlichtweg nicht diplomatisch parlieren wollen, sondern unilateral Fakten schaffen. Genauso kann man sich fragen, ob Franck die historische Bedeutung der KSZE möglicherweise nicht doch ein bisschen überschätzt.
Was von „Der Helsinki-Effekt“ bleibt, sind weniger seine Thesen als vielmehr sein aufmerksamer Blick auf die banale menschliche Basis von Weltpolitik. Eine Gruppe älterer Herren trifft sich in einem vermeintlich wenig bedeutsamen skandinavischen Land; man reißt flache Witze über die eigenen Gewichtsprobleme und ein Fernsehreporter rückt in einem scheinbar unbeobachteten Augenblick sein Toupet zurecht. Dann wird ein Dokument unterschrieben, und alles ändert sich.