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Der Kinoerzähler

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Szenebild von Der Kinoerzähler 1
Deutschland, in den dreißiger Jahren. Ein alter Kinoerzähler, dessen Aufgabe es war, während eines Stummfilms den Zuschauern die Handlung des Films näher zu bringen, realisiert, dass sein Berufsbild vom Aussterben bedroht ist
Metropol-Theater
Brunnenstraße 20
40223 Düsseldorf

Als die Bilder noch nicht sprechen konnten, schilderten wortgewandte "Kinoerzähler" aus dem Stegreif dem Publikum im Saal das stumme Geschehen auf der Leinwand. Ein heute längst vergessenes Metier aus der Frühzeit des Films, das der titelgebende Held wahrhaft mit Leib und Seele betreibt. Dessen Leidenschaft für das Kino und die Kunst der Illusion packt schließlich auch sein Enkelkind Paul. Seite an Seite durchstreifen die beiden die Ateliers im nahen Babelsberg und geraten dabei unversehens ins Schlachtgetümmel um den "Alten Fritz", dessen "leibhaftiges" Erscheinen noch den nachfolgenden unsanften Rausschmiß zu einem engelsgleichen Geleit verklärt. Allerdings sind die besten Tage des Kinoerzählers gezählt, seit seine Dienste mit dem Siegeszug des Tonfilms auf einmal nicht mehr gefragt sind. Ein Verhängnis, das auch sein verzweifeltes Intermezzo als Violinist auf der Bühne des "Apollo"-Kinos nicht aufhalten kann: seine ehedem so überschwengliche Kunst sorgt nunmehr für leere Kassen. Selbst privat plagen den erfolgsgewohnten Kinoerzähler plötzlich Sorgen. Von Frau und Tochter in seiner künstlerischen Ader von jeher unverstanden, wendet sich jetzt auch die wesentlich jüngere Frau Fritsche von ihrem gelegentlichen Verehrer ab und endlich "etwas Festem" zu.

Überall stehen die Zeichen der Zeit auf Sturm - vom Kinoerzähler anscheinend unbemerkt. Schlägertrupps in brauner Uniform stürmen eine Vorstellung von "Im Westen nichts Neues", verwüsten das gesamte Inventar und zwingen damit Herrn Theilhaber, den jüdischen Besitzer, zur Aufgabe. Im "Apollo" führen fortan die Nazis das große Wort. Der Kinoerzähler hofft auf eine Wiederbelebung des Stummfilms im Namen der "nationalen Erhebung", muß jedoch vorerst mit einer Anstellung als Platzanweiser vorlieb nehmen. Als durch eine Unachtsamkeit des Filmvorführers plötzlich alles in Flammen steht, stürzt der Kinoerzähler in die hinterste Kammer des Kinos, in der er seinen ehemaligen Chef verborgen hält. und eingekeilt zwischen brennenden Balken erzählt er seine allerletzte Geschichte.

"Vorteile vom Tonfilm haben nur die Blinden", urteilt vernichtend der Kinoerzähler über jene Erfindung, die ihn um den Sinn seines Lebens bringt. Ein Verdikt, das unfreiwillig die Kritik an Bernhard Sinkels Verfilmung der gleichnamigen Vorlage des kürzlich verstorbenen Romanautors Gert Hofmann vorwegnimmt (vgl. Besprechung in fd 22/1990). "Der Kinoerzähler", konzipiert als erste Referenz-Produktion der neuformierten Babelsberger Studios im Vorgriff auf das Centenarium des Kinos im Jahre 1995, verharrt bieder und betulich in mittelklassiger Defa-Tradition. Die Potenzen eines durch und durch "filmischen" Sujets wie der Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm am Anfang der 30er Jahre, das nach einer reizvollen Visualisierung geradezu schreit, werden abgesehen von vereinzelten illustrativen Traumsequenzen allenfalls ansatzweise ausgelotet. Ansonsten fällt der Abschied von einer vergangenen Ära der Filmgeschichte, der anachronistischerweise zugleich auch auf das Autorenkino unserer Tage gemünzt sein will. merkwürdig müde und uninspiriert aus, Mit dem Elan einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme samt Special Effects, Stunts und Dressurnummern gerät die behauptete Liebeserklärung an das Kino zu hölzernem Kintopp in dermaßen altbackener Manier, bis buchstäblich der Staub aus den kläglichen Kulissen und Kostümen rinnt. In routiniert rauchigem Tonfall haucht dazu Armin Mueller-Stahl als kauziger Kinoerzähler etliche mehr oder minder sinnreiche Sentenzen seiner Kino-Philosophie hin, die dem Publikum so rasch den Nerv rauben wie seinen Anverwandten im Film, sofern er sich nicht gänzlich auf sein mittlerweile reichlich verschlissenes Image als alternder Charmeur verläßt. Die Verschränkung von Zeit-. Film- und Lebensgeschichte wirkt dabei allzu konstruiert, und die bemühten Anspielungen auf die gegenwärtige Umbruchsi-tuation in Kunst und Politik - wenn etwa davon gesprochen wird, daß "Künstler" wie Millionen andere plötzlich auf der Straße landeten - bleiben forcierte Äußerlichkeiten. Sinkel erscheint in seinem Engagement letztlich unglaubwürdig, beschwört gerade das, was er nicht einzulösen vermag, und verkauft Unterhaltung weit unter Wert.

Veröffentlicht auf filmdienst.deDer KinoerzählerVon: Roland Rust (5.11.2025)
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