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Filmkritik
Das Wandern ist des Müllers Lust oder des Pilgers Weg zur Erkenntnis. Das Ehepaar Ray und Moth Winn begibt sich hingegen auf Wanderschaft, weil es gerade obdachlos geworden ist. Das Bauernhaus der Eheleute wurde zwangsversteigert, da Moth (Jason Isaacs) einem Betrüger auf den Leim gegangen ist. Völlig mittellos, nur mit einem Zelt, ein paar Kleidungsstücken und wenigen Utensilien laufen Moth und Ray (Gillian Anderson) auf dem sogenannten „Salzpfad“ an der Südwestküste Englands entlang. Die Wanderung soll durch Somerset, Devon und Cornwall gehen, bis hin zum Land’s End, dem westlichsten Punkt von Großbritannien.
Wenn das Wetter Kapriolen schlägt
Doch schon am ersten Tag versagen Moths Kräfte. Er leidet an der unheilbaren Nervenkrankheit CBD, die mit Schwindel und Lähmungen einhergeht und die Mobilität einschränkt. Doch nach einer im Zelt verbrachten Nacht raffen sich die beiden wieder auf. Ray und Moth ernähren sich vornehmlich von Instant-Essen und Tee. Das Geld ist knapp. Wenn Ray im Supermarkt Vorräte kauft, beschränkt sie sich auf das (Über-)Lebensnotwendige.
Immerhin können beide die atemberaubende Küstenlandschaft des englischen Südwestens genießen. Bei guter Witterung wandern sie zwar nicht ohne Beschwerden, aber frohen Mutes; sie genießen die Natur und ihre Zweisamkeit. Doch sobald das Wetter Kapriolen schlägt, werden sie sich ihrer Situation als Obdachlose bewusst. Dann muss ihr bescheidenes Zelt dem Wind und dem Regen trotzen. Außerdem überstehen sie Frust, Fieber, Erschöpfung und Moths Gelenk- und Muskelschmerzen; zuweilen bleiben aber auch gegenseitige Vorwürfe wegen ihrer Situation nicht aus.
„Der Salzpfad“ ist die Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von Raynor Winn und erzählt eine authentische Geschichte. Rückblenden erläutern die prekäre Lage der Eheleute. Nach einem verlorenen Gerichtsverfahren bleiben der Familie – den Eltern und ihren beiden erwachsenen Kindern – fünf Tage, um ihr Haus zu räumen. Die Wanderung erweist sich als spontaner Entschluss, nachdem Ray beim Packen zufällig der Reiseführer „The South West Coast Path“ in die Hände gefallen ist. In dem Buch notiert sie sich auch viele Dinge, die später als Grundlage für ihre Schilderung dienen.
Flucht und Ausweg in einem
So erweist sich die Wanderung von Ray und Moth als Flucht und Ausweg zugleich. Da das Ehepaar keinerlei Aussicht auf eine neue Bleibe hat – eine Sozialwohnung würde sie erst in zwei Jahren bekommen –, macht es das Beste aus der Situation. Zwar lösen sie mit der Wanderung kurz- und mittelfristig nicht ihr existenzielles Problem. Doch Bewegung ist besser als Stillstand und birgt zumindest die Hoffnung auf eine Veränderung.
Das Alternieren zwischen Jetztzeit und Rückblenden ist offenbar dazu gedacht, Abwechslung in den Film zu bringen. Damit greift die Regisseurin Marianne Elliott das Prinzip jüngerer Wanderfilme wie „Auf dem Weg“ auf. De facto unterbrechen die Zeitsprünge in die Vergangenheit allerdings den Fluss der Erzählung, die ohnehin reich an Abenteuern, Höhe- und Tiefpunkten ist. „Der Salzpfad“ kann jedoch in zweierlei Hinsicht punkten: den natürlichen Kulissen und seiner Besetzung. Die raue und zugleich beeindruckende Landschaft zwischen tosendem, dann wieder beruhigtem Meer und der Steilküste lässt den Wanderweg schön und gefährlich zugleich erscheinen. So wird die Natur als gleichberechtigter Protagonist in den Film eingebunden und beeinflusst das Schicksal der Figuren. Mal sind die Winns den Elementen ausgeliefert, mal können sie diese überlisten.
Gillian Anderson spielt die Figur der Ray Winn völlig uneitel. Doch sie macht auch Rays Entschlossenheit und ihre Verzweiflung transparent. Ihre Tapferkeit weiß man genauso zu schätzen wie den unverzagten Pragmatismus und den Mut von Moth, der mit seiner schwächelnden Physis zu kämpfen hat. Jason Isaacs nutzt hingegen seine ganze mimische Bandbreite. Beide Schauspieler tragen dazu bei, dass man der Odyssee der Eheleute gerne folgt und mit ihnen fühlt, wenn sie zum wiederholten Mal ihre Spaghetti zu sich nehmen, die auch noch durch Regen verwässert werden. Oder wenn Moth eine Freiluft-Lesung improvisiert und Ray mit der Mütze um Kleingeld bettelt.
Vorsicht: Verwechslung
Kilometerangaben blenden den Fortschritt der Wanderung ein. Mit stetig mehr zurückgelegter Strecke wächst die Zuversicht des Paars auf bessere Zeiten, die tatsächlich kommen. Dabei seziert der Film nebenbei auch eine Gesellschaft, in der die Behörden eine erschreckende soziale Kälte an den Tag legen. Auch privat bekommen Ray und Moth es sowohl mit mitfühlenden und helfenden, wie auch kaltherzigen Menschen zu tun. Wiederholt verweisen Einheimische auf das Zeltverbot auf Wiesen oder verweigern Geschäftsleute Essen, das sie ohnehin entsorgt hätten. Doch von einem Pub-Besitzer und dem Angestellten eines Schnellimbisses erhält das Ehepaar Unterstützung; einmal darf die erkrankte Ray in einem Hippie-Camp übernachten.
Zum Running Gag wird der Umstand, dass Moth wiederholt mit dem Dichter Simon Armitage, einer lokalen Berühmtheit, verwechselt wird. Das führt dazu, dass betuchte Einheimische die Winns in ihr Haus einladen und verwöhnen. Der schmerzgeplagte Moth erhält eine Massage, und beide können in dem Haus verschnaufen und werden bekocht. Als die Gastgeber, die mit ihrer Aktion vor allem Likes in den sozialen Medien schinden wollten, aber merken, dass sie die Falschen eingeladen haben, sind Ray und Moth bereits im Begriff, sich zu verabschieden.