- Veröffentlichung29.05.2025
- RegieMarcelo Busse, Julia Suermondt
- Dauer86 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 12
Vorstellungen


Filmkritik
Die Kontaktaufnahme klappt. „Kommen Sie doch rein“, sagt die resolute Frau aus Deppendorf zu dem Dreiergespann vor ihrer Tür. Das Trio geht mit einer ziemlich verrückten Idee hausieren: Fliegen retten. Die Details und damit die Dimensionen ihres Plans offenbaren sich im Film aber erst nach und nach. Von Anfang an klar ist jedoch, dass es um eine radikale Umwertung geht: dem Kleinen, nämlich der Stubenfliege, soll eine große Bedeutung zugeschrieben und im Lästigen, wiederum: der Stubenfliege, das Nützliche erkannt werden.
Insekten leisten einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des Ökosystems. Dennoch werden sie geringgeschätzt, gesellschaftlich wie privat. Die Fliegenklatsche ist schnell zur Hand; das störende Geschöpf im Nu nur noch ein schwarzer Fleck auf der Tapete. „Der Unternehmer das Dorf und die Künstler“ dokumentiert einen Versuch, daraus Konsequenzen zu ziehen, und seien sie auch nur symbolischer oder rhetorischer Natur. Etwa in der Art, aus einer Fliege einen Elefanten zu machen.
Das Dreiergespann besteht aus Frank und Patrik Riklin, zwei Schweizer Aktionskünstlern, und Hans-Dietrich Reckhaus. Reckhaus ist der Financier der Unternehmung. Sein Geld verdient Reckhaus mit dem Gegenteil dessen, was er den Dorfbewohnern vorschlägt. Denn seine Firma stellt Insektenvernichtungsmittel für den Hausgebrauch her. Eine Frage liegt deshalb nahe: ob es sich bei dem Film am Ende vielleicht sogar um einen ziemlich zynischen Werbegag handelt?
Bis zur großen Fliegenrettungsgala
Diese und ähnliche Fragen werden hier durchaus gestellt. Allerdings dominieren andere, freundliche bis enthusiastische Reaktionen. Nachdem die erste Frau dem Trio die Haustür öffnet, schließt bald ein großer Teil der Dorfgemeinschaft die Fliegenrettungsaktion in ihr Herz. Zu einem Treffen der Projektgruppe kommen mehr und mehr Menschen, die gemeinsam den Fliegen-Eid schwören, Fliegenarmbänder verteilen und ein großformatiges Festzelt aufbauen, für die große Fliegenrettungsgala, das Kernstück der Aktion.
Dass die Veranstaltung – auch wenn mit ihr nicht der Verkauf insektenfeindlicher Produkte angekurbelt werden soll – dennoch wie eine Marketing-Kampagne aufgezogen ist, gehört zu den Paradoxien des Films. Eine andere Paradoxie besteht darin, dass es eher die Schweizer Künstler als der ostwestfälische Unternehmer sind, die das Unterfangen unter pragmatisch-organisatorischen Gesichtspunkten betrachten.
Sie sollen nicht immer so viel planen, fordert Reckhaus die Riklin-Brüder in einer Szene auf, sondern einfach die Atmosphäre dieses Ortes genießen. Eines Dorfes, das sich plötzlich, ohne tieferen Grund, einfach aufgrund der Handlungen dreier Verrückter, der Fliegenrettung verschrieben hat. Der Enthusiasmus, den Reckhaus – rein äußerlich fast schon der Prototyp eines mittelständischen Unternehmers – versprüht, wirkt authentisch. Wobei Authentizität allerdings, wie es im Film einmal heißt, gar nicht der Punkt ist. Auch inszenierte Realität ist Realität. Was zählt, sind reale Handlungen in der realen Welt.
Eine freundliche Groteske
Der Enthusiasmus von Hans-Dietrich Reckhaus ist auch ein gutes Jahrzehnt nach der Aktion ungebrochen, wie man in einem Interview nachlesen kann. Tatsächlich stammen die Filmaufnahmen aus dem Jahr 2012, auch wenn man ihnen das auf den ersten Blick nicht unbedingt ansieht – dem Bielefelder Speckgürtel eignet eine gewisse Zeitlosigkeit. Die Riklins dokumentierten ihre Aktion von Anfang bis Ende filmisch; doch das geplante Filmprojekt wurde zunächst nicht realisiert. Die Dokumentaristen Marcelo Busse und Julia Suermondt haben das Material jetzt in die Finger bekommen und ohne umfangreichere Eingriffe wie Voice-Over-Stimmen oder Nachdrehs zu einer freundlichen dokumentarischen Groteske montiert.
Der Film hält sich strikt an den Verlauf der Aktion. Die Kamera wird gelegentlich von den Künstlern, meist jedoch von Jelena Gernert geführt, dem vierten, unsichtbaren Mitglied des Teams. Sie verhält sich beim Fliegenfilmen meist wie die sprichwörtliche Fliege an der Wand und versucht, obwohl stets mittendrin, möglichst wenig auf sich aufmerksam zu machen. Zwischendurch finden sich freilich Einstellungen, in denen die Künstler Regieanweisungen geben, etwa wenn sie nach besonders effektiven Blickwinkeln Ausschau halten. Die Arbeit am Bild gesellt sich zur Arbeit für die Fliegen hinzu. Busse und Suermondt legen zwar Wert auf ihre Distanz zur ursprünglichen Kunstaktion. Doch der Film kann kaum anders, als an den Geist des Deppendorfer Fliegenrettungsabenteuers anzuschließen. Denn offensichtlich werden Stubenfliegen im Kino nur allzu oft übersehen. Es wäre an der Zeit, das zu ändern.