









Vorstellungen
Leider gibt es keine Kinos.
Filmkritik
Alfred Hitchcock, Gruselmeister und Thrillerspezialist, dessen Filmen die "besten Leichen" nachgerühmt werden und der schon oft knisternd-spannend und hintergründig-vergnügt unterhielt, hat sich mit seinem 50. Film auf die aktuelle politische Bühne der Ost-West-Auseinandersetzung gewagt und ist mit diesem Vorhaben aufs Ganze gesehen gescheitert. Das Drehbuch von Brian Moore folgt im wesentlichen der im Genre des politischen Spionagefilms üblich gewordenen Thematik, d. h. der Jagd nach einer physikalischen Formel, um das atomare Gleichgewicht zwischen der östlichen und westlichen Hemisphäre zu erhalten bzw. dem Westen einen Vorsprung vor der Konkurrenz zu sichern. Auf dem Weg zu einem internationalen Physikerkongreß in Kopenhagen setzt sich ein US-Wissenschaftler zusammen mit seiner Assistentin und Verlobten nach Ost-Berlin ab, wo sein plötzlicher Gesinnungswandel auf einer spektakulären Pressekonferenz der Weltöffentlichkeit mitgeteilt wird. Vom Chef des Staatssicherheitsdienstes erhält Armstrong in dem Sicherheitsbeamten Gromek einen ständigen Begleiter zugewiesen. Bald wird klar, daß Professor Armstrong ein gefährliches Doppelspiel treibt. Er ist nicht - wie seine Braut zunächst annimmt - ein Abtrünniger, sondern auf der Suche nach einer Formel zur Verwirklichung des Gamma-V-Projekts der USA, die er sich von dem Leipziger Professor Lindt zu erschleichen hofft. Nachdem Armstrong Kontakt mit einer Fluchthelfer-Organisation aufgenommen und seinen Schatten Gromek mit Hilfe einer Bäuerin in einem Backofen vergast hat (Hitchcock hat die besten Leichen!), gelingt es ihm in Leipzig tatsächlich, Professor Lindt zu düpieren und die Formel in seinen Besitz zu bringen. Inzwischen ist sein Doppelspiel vom Staatssicherheitsdienst entdeckt worden, und für Armstrong und seine Braut beginnt eine abenteuerliche Flucht zurück nach Ost-Berlin und von dort im Gepäck einer Ballett-Truppe nach Schweden in die Freiheit.
Selbstverständlich wollte Hitchcock keinen politisch-engagierten Film drehen, vielmehr interessierte ihn die politische Realität der durch den Eisernen Vorhang getrennten Machtbereiche nur insofern, als sie ihm das Milieu für eine effektvolle Kriminalgeschichte herzugeben schien. Und das ging gründlich daneben. Denn die authentische Wirklichkeit macht Hitchcock einen Strich durch seine fiktive Story, weil Handlung und Milieu nicht übereinstimmen. Die an sich dramaturgisch geschickt und abwechslungsreich, wenn auch ohne große Überraschungen gebaute Story präsentiert sich weitgehend ohne die sonst sprichwörtliche thrillerhafte Dramatik Hitchcockscher Prägung. Da das Drehbuch von Anfang an keinen Zweifel am Doppelspiel des US-Wissenschaftlers läßt und die positiven und negativen Helden fein säuberlich voneinander trennt, erwächst das Interesse des Zuschauers - das ist im Sinne des Regisseurs - ganz und gar an der Frage, wie Armstrong und seine Braut wieder aus der Schlinge herauskommen. Hier müßte nun nach Hitchcocks eigenwilligem Inszenierungsstil jener intelligente Nervenkitzel entstehen, den man zum Beispiel in "Der Mann, der zuviel wußte" bewundern konnte. Das aber geschieht nur in wenigen Einstellungen. Denn der Zuschauer, zumal der deutsche, nimmt dem Regisseur die äußerst oberflächlich und passagenweise mit rührender Naivität angebotene Ost-West-Realität nicht ab, da er sie aus eigener Anschauung wie aus Dokumentationen besser und genauer kennt. In keiner Phase des Films gelingt es Hitchcock, die "DDR"-Atmosphäre einzufangen. Zum allzu atelierhaft drapierten Ost-Berlin und Leipzig gesellen sich klischeehafte Charakterisierungen der ostzonalen Geheimdienstler und Professoren, die ausnahmslos wie Marionetten agieren und deren Handlungsweisen der Zuschauer bereits weiß, ehe sie an ihm vorüberflimmern. Hier erweist Hitchcock sich als der "schreckliche Vereinfacher", der einen kommunistischen Staat und dessen Funktionäre so zeichnet, wie die Amerikaner sich das vorstellen bzw. aus mancherlei Gefühlen erträumen. Eine deutliche Konzession an den amerikanischen Publikumsgeschmack. Das spezifische Können Hitchcocks wird allerdings dann in der tollkühnen Flucht der beiden Amerikaner im letzten Drittel des Films sichtbar, vor allem in den grandios komponierten Szenen im Theater, wo Geheimdienstler und Volkspolizisten die Flüchtlinge einkreisen und diese sich mit einem aufregenden Bluff dem Zugriff ihrer Verfolger entziehen können. Dennoch bleibt insgesamt - trotz guter schauspielerischer Leistungen - der Eindruck eines enttäuschenden Hitchcock-Films. Es erweist sich hier, daß politische Wirklichkeit nicht zum bloßen Rahmen einer effektvollen Spionage-Story degradiert werden kann. Die Wirklichkeit ist da stärker als die Fiktion.



