








Vorstellungen










Filmkritik
Touda (Nisrin Erradi) beherrscht es meisterinnenhaft, mit ihrem männlichen Publikum zu spielen. Mit rhythmischem Hüftschwung, girlandenartigen Armbewegungen und provokanten Liedzeilen verdient sich die alleinerziehende Mutter in Bars und auf Hochzeiten ihren Lebensunterhalt. Ihr Musikstil hat Tradition: Aïta, so informiert der Vorspann von Nabil Ayouchs Film, ist eine Volksmusik und musikalische Praxis aus den ländlichen Gebieten Marokkos, bei der eine „Sheikha“ genannte Sängerin von Tamburin und Geige begleitet wird. Die Lieder sind verführerisch, spitzzüngig und anmaßend. Einmal singt Touda etwa über untreue Ehemänner, die ihre Geliebten verwöhnen, während sie ihre Frauen schlagen.
Eine starke, selbstermächtigende Weiblichkeit
In „Alle lieben Touda“ steht diese musikalische Spielart symbolisch für eine starke, selbstermächtigende Weiblichkeit. So frei die Titelheldin jedoch sein will, es ist letztlich die Gesellschaft, die sie immer wieder in ihre Schranken verweist. Gleich zu Beginn ist ein ausgelassenes Fest zu sehen, bei dem Touda mit ihrem losen Mundwerk das Publikum bezirzt. Sie scheint die Männer unter Kontrolle zu haben, doch kaum ist es dunkel und der Alkoholpegel gefährlich hoch, wird die Sängerin von ihnen gejagt und vergewaltigt.
Dass Touda auf andere anstößig wirkt, hat schlichtweg damit zu tun, dass sie sich ganz selbstverständlich die Privilegien des anderen Geschlechts herausnimmt. Sie flucht, trinkt, flirtet offensiv und öffnet Bierflaschen mit den Zähnen. Einerseits wirkt sie frei, weil sie sich um nichts schert, andererseits bleibt sie für Männer entweder Lustobjekt oder kurzer Zeitvertreib. Nur einem Polizisten (Lahcen Razzougui) mit akkurat geschnittenem Schnauzer und weichem Lächeln gelingt es, Touda gelegentlich zu verführen. Doch auch er hat Frau und Kind.
Sobald die Protagonistin von der Arbeit nach Hause kommt, zeigt der Film eine andere Seite von ihr. In der verdunkelten Wohnung inszeniert Ayouch zärtlich intime Momente zwischen Mutter und Sohn. Dass Toudas Kind gehörlos ist, von seinen Mitschülern gemobbt wird und mit traurigen Augen in die Kamera blickt, wirkt manchmal jedoch unnötig sentimental.
Ohne die Würde zu verlieren
Denn eigentlich erzählt der Film von Toudas Kampf, eine respektable Sheikha zu werden, ohne dabei ihre Würde zu verlieren. In den zwielichtigen Bars, in denen die Hauptfigur verkehrt, will man oft nur vordergründig eine Tänzerin. Die Grenzen zur Prostitution sind fließend und die Konkurrenz ist hart. Eine Kollegin steckt sich eine Bierflasche in den Ausschnitt und beugt sich nach vorne, um einen Gast daraus trinken zu lassen. Touda weist dagegen jegliche erotischen Avancen resolut zurück, was sie mitunter auch unbeliebt macht.
Irgendwann riskiert sie alles, liefert ihren Sohn bei den Eltern ab und geht nach Casablanca, wo sie ein Star werden möchte. Die Erzählung vom Underdog aus der Provinz, der es in der großen Stadt schaffen will, klingt vertraut. Nun lässt sich zwar auch eine bekannte Geschichte immer wieder frisch und aufregend erzählen, aber im Falle von „Alle lieben Touda“ bleibt sie ein wenig holzschnittartig. Das Drehbuch, das Ayouch gemeinsam mit der Regisseurin Maryam Touzani verfasst hat, hakt Toudas Stationen durch schummrige Clubs und schäbige Hotels mäßig inspiriert ab, bis es mit einigen Abkürzungen sein leise triumphierendes Finale erreicht hat.
Touda ist eine auf interessante Weise zerrissene Figur, die Hauptdarstellerin Nisrin Erradi temperamentvoll verkörpert. Anstatt diesen inneren Zwiespalt anschaulicher darzustellen, flüchtet sich der Film aber teilweise in abgegriffene Bildpoesie und zeigt seine Heldin etwa, wie sie auf metaphorische Weise gelöst in einem See treibt. Während Toudas Kampf um Selbstbestimmung zunächst einhergeht mit ihrer erträumten Musikerinnenkarriere, spielt der Film diese beiden Wünsche letztlich etwas unplausibel gegeneinander aus. Auch die Geschichte mit dem Sohn verläuft nach einer Weile im Sand. Sobald Touda ihn bei ihren Eltern abgeliefert hat, will auch Ayouch nichts mehr von ihm wissen.
Zwischen fliegenden Geldscheinen und pfeifenden Männern
Man wünscht sich manchmal, der Film würde in seinen dramatischen Szenen eine ähnliche Intensität entwickeln wie bei Toudas Auftritten. Hier wird ihr Wunsch, unbezwingbar und frei zu sein, auf mitreißende Weise vermittelt. Zwischen fliegenden Geldscheinen und pfeifenden Männern feuert sie ihr Publikum immer weiter an, fällt schließlich auf die Knie und schüttelt ekstatisch ihre Haare im Rhythmus der Musik. Die Katharsis solcher Momente ist dabei ebenso ergreifend wie die Wut und Traurigkeit, die dahinterliegen. Nicht zufällig lässt sich der Name der Musikrichtung Aïta mit „Schrei“ übersetzen.