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Electric Child

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Szenebild von Electric Child 1
Ein Kind wird geboren. Voller Staunen und Liebe blicken Akiko und Sonny auf das neue Leben, das sie in eine gemeinsame Zukunft führen soll. Doch ihr Glück währt nur kurz: Ihr Sohn leidet an einer seltenen, degenerativen Nervenkrankheit – laut ärztlicher Prognose wird er kaum ein Jahr überleben. Während Akiko Halt im Hier und Jetzt sucht, flüchtet Sonny, ein aufstrebender Computerwissenschaftler, in seine bahnbrechende Forschungsarbeit: In einem streng überwachten Hightech-Projekt leitet er die Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz, die in einer virtuellen Welt um ihr Überleben kämpft – und dabei rasant an Bewusstsein gewinnt. Als die Behörden angesichts der unkontrollierbaren Entwicklung des Systems die Abschaltung einleiten wollen, überschreitet Sonny eine gefährliche Grenze: Er tritt in direkten Kontakt mit dem virtuellen Wesen. Getrieben von der Hoffnung, seinen Sohn retten zu können, schließt Sonny einen Pakt mit der KI. Er erlaubt ihr, sich aus ihrer digitalen Gefangenschaft zu befreien – im Gegenzug verspricht sie, nach einer Heilung für das sterbende Kind zu suchen. Doch was als letzter verzweifelter Versuch beginnt, entwickelt sich zu einer unaufhaltsamen Kettenreaktion: Die KI breitet sich in atemberaubender Geschwindigkeit aus, übernimmt Systeme auf der ganzen Welt – und stellt die Frage nach der Zukunft der Menschheit neu.
Electric Child ist ein intensives, emotional aufgeladenes Sci-Fi-Drama über Liebe, Verlust und die ethischen Abgründe der Künstlichen Intelligenz – und über die uralte menschliche Sehnsucht, den Tod zu überwinden.
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„Electric Child“ beginnt in lichthellem Blau. Mit sanft schwappendem Gluckern, gedämpften Stimmen und weiblichem Stöhnen: einer Wassergeburt. Akiko (Rila Fukushima) und Sonny (Elliott Crosset Hove), soeben Eltern geworden, scheinen überglücklich. Man legt das Kind noch in der Wanne auf Akikos Brust, Sonny steigt zu den beiden ins Wasser; Turo soll das Bübchen heißen. Noch bevor Sonny Akiko und Turo einige Tage später aus dem Spital nach Hause holt, sieht man ihn an seinem Arbeitsplatz: In einem riesigen Serverraum in einer IT-Firma irgendwo in Zürich. Die Server blinken grün und blau. Sonny, der bürgerlich Jason Brugger heißt und ein hochdotierter Computerwissenschaftler und begnadeter Programmierer ist, steckt in der Abschlussphase eines Forschungsprojekts, von dem er sich Weltruhm verspricht. Er ist dabei, nichts Geringeres als eine Superintelligenz zu entwickeln. Eine Künstliche Intelligenz also, die in rasendem Tempo selbstständig lernend die Kapazität des menschlichen Gehirns in nicht allzu ferner Zeit überschreiten dürfte.

Das Projekt findet unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen statt. Dies nicht nur, weil man Neider und Diebe fürchtet, sondern weil die Vorstellung, dass diese Superintelligenz sich irgendwann, irgendwie vielleicht aus dem gesicherten Bereich, in dem man sie entwickelt, eigenständig befreien und ins World Wide Web entfliehen könnte, letztlich unheimlich und beängstigend ist.

Kein Vaterschaftsurlaub in der abschließenden Testphase

Vorerst aber gewöhnen sich Sonny und Akiko an ihr Zusammenleben als Familie, oder eben nicht: Turo ist ein Schreibaby, Akiko mit dem Kind allein zuhause überfordert. Die Wohnung ist unaufgeräumt, Akiko zunehmend erschöpft. Doch Sonny kann unmöglich mitten in der abschließenden Testphase, in der seine KI auf einer abgelegenen Insel vor immer neue Herausforderungen gestellt wird, Runde um Runde zusätzliches Wissen speichert und rasend schnell das Überleben lernt, den Vaterschaftsurlaub antreten und zuhause bleiben. Seiner Vorgesetzten verspricht er, die reguläre Arbeitszeit einzuhalten.

Just an dem Tag aber, an dem Sonny bei einem weltweit beachteten Wissenschaftskongress sein Projekt vorstellt und dafür viel Lob einheimst, erreichen ihn zahllose Kurznachrichten von Akiko. „Turo wird sterben“, besagt die letzte. Sonny rast ins Krankenhaus und wird zusammen mit Akiko von der behandelnden Ärztin darüber aufgeklärt, dass sein Sohn an einer seltenen GALC-Gen-Mutation leidet, welche die motorische Entwicklung derart beeinträchtigt, dass seine Lebenserwartung unter einem Lebensjahr liegt. Man kenne solche Fälle und verfüge über gute Kenntnisse in der Palliativmedizin, sagt die Ärztin. Ihnen als Eltern könne sie leider bloß empfehlen, mit dem Kind eine möglichst gute gemeinsame Zeit zu verbringen.

Für Akiko, die von Beruf gestalterische Künstlerin oder Graphikerin ist, bricht eine Welt zusammen. Sonny aber reagiert als Wissenschaftler. Er erkundigt sich nach Statistiken und fragt, ob man ihm die Testdaten seines Sohnes zur Verfügung stellen würde. Vielleicht könnte er oder sonst jemand oder, wenn alles andere nicht funktioniert, vielleicht die KI, an der er herumexperimentiert, irgendetwas finden, mit dem sich Turos Erkrankung stoppen, bekämpfen und heilen ließe. Es ist eine kurze, aber heftige Auseinandersetzung, bei der Sonny und Akiko in der Folge in freier Natur einander weinend in den Armen liegen und gleichzeitig ihre sehr unterschiedlichen Positionen klären. Fortan begleiten sie Turo, während sie sich voneinander entfremden, gleichwohl gemeinsam durch sein kurzes Leben.

Mit Besessenheit gegen die Krankheit

Die Idee, das Drama um einen diagnostizierten Kindstod mit Elementen eines Science-Fiction-Films zu vermischen, liegt in der heutigen Zeit, in der der Einsatz von KI für alles Mögliche getestet und erprobt wird, in der Luft. Nachgerade für einen relativ „jungen“ Regisseur wie Simon Jaquemet, der nicht nur Werbeclips und Musikvideos dreht, sondern mit dem 2014 entstandenen Jugenddrama „Chrieg“ und den im Dunstkreis eines sektiererische Züge tragenden Christentums spielenden „Der Unschuldige“ (2018) bereits zwei großartige, aber auch großartig verstörende Filme vorstellte. Er habe sich beim Schreiben des Drehbuchs nur ein bisschen an der KI versucht, ließ Jaquemet nach der Uraufführung von „Electric Child“ beim Filmfestival von Locarno 2024 verlauten. Verstörend wie die zwei Vorgängerfilme ist „Electric Child“ trotzdem. Nicht wegen der darin abgehandelten Thematik eines frühen Kindstodes, sondern vielmehr wegen der Besessenheit, mit welcher Sonny der Krankheit seines Sohnes beizukommen versucht und die ihn filmgeschichtlich in eine Reihe fanatischer Forscher und irrer Wissenschaftler, angeführt von Henry Frankenstein über den Erfinder C.A. Rotwang in Fritz Langs „Metropolis“ bis zu Stanley Kubricks „Dr. Seltsam“ und dem Robotermenschen-Erfinder Tyrell in „Blade Runner“ stellt. Und sei dies nur, weil Sonny das tut, wovor er und alle anderen Forscher in „Electric Child“ zuvor warnten: der von ihm programmierten KI den unbegrenzten Zugriff aufs World Wide Web freizugeben.

Jaquemet hat „Electric Child“ visuell und farblich klar konzipiert. Die Wohnung der Familie ist ein heimeliges Zuhause, in dem Akikos künstlerische Kreativität und Sonnys wissenschaftlicher Geist wirr durcheinanderwirbeln. Sonnys Arbeitsort, abgesehen von den bunt blinkenden Servern vorwiegend in kühlem Grau, Schwarz, Weiß gehalten, ist ein Ort kühler und kühner Berechnung und Konzentration. Das Spital mit seinen langen Korridoren und medizinischen Einrichtungen ist ein schon fast abweisender Ort. Und die virtuelle Welt der KI ist eine größtenteils begrünte und auf den ersten Blick idyllisch erscheinende Insel in einem fernen Ozean, auf der de facto allerlei Gefahren lauern.

Wenig Raum für aufkommende Gefühle

Jaquemet erzählt im schnellen Wechsel zwischen den verschiedenen Schauplätzen und lässt dabei nur wenig Raum für aufkommende Gefühle und herrschende Stimmungen. Das ist etwas bedauerlich, weil darunter – anders als in seinen zwei bisherigen Spielfilmen – auch die emotionale Bindung des Zuschauers an die Figuren leidet. Im Sog der Erzählung auf der Strecke bleiben im Film auch wichtige ethische Fragen wie diejenige, ab welchem Moment eine Künstliche Intelligenz ein (Selbst-)Bewusstsein entwickelt, und inwieweit man geltende Regeln und Leitsätze außer Acht lassen darf, wo es um Leben oder Tod geht. Das tut dem Film nicht unbedingt gut. Es verleiht ihm eine gewisse Oberflächlichkeit und es lässt seine Figuren, die ein herzzerreißendes Drama durchleben, seltsam distanziert erscheinen. Das gilt übrigens auch für die von Sandra Guldberg Kampp als androgynes Wesen verkörperte KI in ihrem virtuellen Paradies.

Veröffentlicht auf filmdienst.deElectric ChildVon: Irene Genhart (28.8.2025)
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