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How to Be Normal und der Versuch, sich selbst zu verstehen

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Nach ihrer Entlassung aus der Psychiatrie zieht Pia zurück ins Elternhaus – doch statt Halt findet sie dort einen Kosmos aus Hilflosigkeit, Alltagsritualen und stillen Zumutungen. Während ihr Vater sie zur Arbeit drängt, die Therapeutin auf „mehr Teilhabe“ pocht und ihre Mutter sich in Fürsorge verliert, entgleitet Pia zunehmend der Wirklichkeit. Visuell inspiriert von Graphic Novels und erzählerisch offen für Brüche, Absurdität und innere Zustände begleitet der Film seine Protagonistin durch eine Welt, in der psychische Gesundheit weniger Privatsache als politisches Terrain ist. Ohne Diagnosen zu reproduzieren, stellt er tiefgreifende Fragen an unsere Vorstellungen von Normalität, Anpassung und Identität – und zeigt, wie notwendig eine neue Sprache für das Unnormale geworden ist.
Mit ihrer Welt stimmt etwas nicht – oder vielleicht doch mit Pia? In seinem Debütfilm wirft Regisseur Florian Pochlatko einen ebenso liebevollen wie verstörenden Blick auf die Rückkehr einer jungen Frau in den Alltag nach der Psychiatrie. Der Spielfilm feierte seine Weltpremiere auf der 75. Berlinale und erzählt mit Bildgewalt, Humor und Haltung von der Reibung zwischen Innen- und Außenwelt, Selbst- und Fremdwahrnehmung, Normalität und Abweichung. Ein Film über das Ringen mit sich selbst – und über das Recht, anders zu fühlen. Ein Film über das Ich – in einer Welt, die völlig aus den Fugen geraten ist
  • Veröffentlichung11.09.2025
  • Florian Pochlatko
  • Österreich (2025)
  • 102 Minuten
  • Drama
  • 7.1/10 (102) Stimmen
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Im Zentrum von „How to Be Normal und der Versuch, sich selbst zu verstehen“ steht eine Frage, die viele beschäftigt: Bin ich verrückt, oder ist es die Welt? Schon früh im Film hört man in einer Radiosendung von Sturmfluten und Erdrutschen in der Steiermark; später tritt der Rhein über die Ufer. Griechenland wird von Feuerstürmen heimgesucht, und in Australien spielt das Wetter verrückt. Werbespots warnen vor Zombie-Schnecken und Killer-Asteroiden; aus dem Smartphone krakeelen Influencer über Schminke und Mental Health. Die Welt steht immerzu vor dem Untergang – und Pia (Luisa-Céline Gaffron) geht es auch nicht so gut.

Am Rande des Zusammenbruchs

Denn wie soll man vor diesem Hintergrund normal sein? Und was bedeutet das überhaupt noch? Ein geregeltes Leben führen, Karriere machen, die gescheiterte Beziehung mit dem Ex-Freund Joni (Felix Pöchhacker) in Ordnung bringen? Auf Pias Arm verwandeln sich alte Schnittwunden langsam in Narben; nach einem Klinikaufenthalt ist sie zu ihren Eltern zurückgezogen. Bipolarität, Angst- und Depersonalisierungs-Störungen, schizoaffektive Paranoia und viele andere Diagnosen bekämpft sie mit Blistern voller Tabletten. Außerdem geht sie zum Yoga, macht Sport und arbeitet widerwillig in der Druckerei ihres Vaters.

Mit ihren Problemen ist sie aber nicht allein. Auch ihre Eltern stehen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Das Unternehmen ihres Vaters Klaus (Cornelius Obonya) kämpft gegen die Übernahme durch den Megakonzern „Friendly“, dessen Logo dem von Amazon ähnelt. Ihre Mutter Elfie (Elke Winkens) arbeitet als Synchronsprecherin und verzweifelt an den reißerischen Texten, die sie einsprechen soll. Wie können sie ihrer Tochter helfen, wenn sie schon an sich selbst scheitern?

Wahn oder Fiktion

Wichtiger als die Handlung aber ist, dass alles auseinanderfliegt. Die Normalität wird brüchig, die Psychen splittern, und mit ihnen zerfällt auch der Film von Florian Pochlatko. „How to Be Normal“ sucht nach einer Bildsprache für prekäre, zerriebene Subjektivität. Das Ergebnis wirkt wie eine bunte, lärmige Nachahmung der metafilmischen Dimension von Ingmar Bergmans „Persona“. Die Erzählung wird zunehmend erratisch, die Kontinuität geht verloren, im Schnitt wachsen Bedeutungs- und Wahrnehmungsebenen zusammen. Die Montage des Films wiederholt die Frage nach dem Ursprung des allgemeinen Irrsinns, denkt Widersprüche und vermeintlich Unzusammenhängendes im Konnex. Die Bilder stehen in immer größeren Anführungszeichen und sind wohlmöglich Wahndrücke oder eine andere Art von Fiktion.

Die zirkuläre Logik des Films verbindet Anfang und Schluss zusammen; schon mit der Eröffnungssequenz wird man sowohl „mitten in die Dinge“ geworfen als auch in einem Medium versenkt. Denn Pias psychische Probleme werden vor allem popkulturell vermittelt. Pia denkt in Kinobildern und spricht in Pop. In der ersten Szene von „How to Be Normal“ erzählt ein junger Mann in der Klinik, dass die Sängerin Björk seine Ideen gestohlen habe; auch über den Hundefrisör der US-amerikanischen Sängerin P!nk weiß er einiges zu berichten. Pias innere Trugbilder setzen sich aus „Matrix“ und „Fight Club“ zusammen. In einer frühen Sequenz begreift sich die junge Frau als eine Art Riesenmonster wie aus einem japanischen Kaiju-Film. Zudem gibt es noch eine Figur, deren erotisches Potential sich ausgerechnet aus der Ähnlichkeit mit dem Schmuse-Sänger Ed Sheeran speist.

Rückkehr in Kinderzimmer

Auf Pias Tür prangt ein Plakat mit dem Schriftzug „Super Arschloch World“, in dem gleichen Font, den auch das Super-Nintendo-Spiel „Super Mario World“ verwendet. Ein Verweis, der besser zum 1987 geborenen Regisseur Florian Pochlatko als zur Figur passt. Ohnehin fühlt sich die Simulakren-Welt des Films oft wie ein Rückgriff an – mit der Hauptfigur kehrt auch das Weltbild ins Kinderzimmer zurück. Auch in „How to Be Normal“ entpuppt sich das Kino der Gegenwart wieder einmal als ein atemloses Medium der verzögerten Zeitgenossenschaft.

Auch der 2019 verstorbene Musiker Daniel Johnston, der für seine schönen, traurigen Lieder mit schnarrenden Gitarrenakkorden, aber auch für seine psychischen Probleme bekannt wurde, sucht den Film wie ein Geist heim. Zitate von Johnston füllen den Bildschirm, seine Zeichnungen prangen auf T-Shirts, die Rückkehr ins elterliche Nest nach einem persönlichen Tief verknüpft seine Vita mit der von Pia.

„How to Be Normal“ beschäftigt sich mit dem ideologischen Hintergrundrauschen der Gegenwart. Der Film problematisiert den Normen- und Normalitätsdruck, Pias medikamentöse Sedierung und die Zwänge durch Elternhaus und Arbeitsmarkt. Doch die Kritik bleibt vage und kapriziert sich auf naheliegende Ziele und Allgemeinplätze. Wie und warum die Welt verrückt geworden ist, kommt nicht in den Blick.

Vermeintlicher Schlüssel: die Popkultur

Interessanter ist die Beziehung zu den filmischen Bildern. Pochlatko hat bei Michael Haneke studiert, für den Popkultur ein mörderischer Abgrund ist. Für Pochlatko aber ist die Popkultur ein Werkzeug, um die Welt zu begreifen, zumindest theoretisch. Sie ist ein Außen für die Innerlichkeit, ein Metaphernraum zum Abgleich mit den eigenen Erfahrungen. Nur gleichen sich beide Sphären im Film zunehmend an; sie verschmelzen miteinander. Die Hegemonie des Pop reicht bis unter die Haut. Doch ist die Vorstellung nicht schrecklich, die Abgründe der eigenen Existenz nur noch durch die Popkultur begreifen zu können? Die Suche nach einem Platz in der Welt ist alles andere als offen, wenn man sich mit bestehenden Mustern und Genres zufriedengibt.

Veröffentlicht auf filmdienst.deHow to Be Normal und der Versuch, sich selbst zu verstehenVon: Lucas Barwenczik (1.9.2025)
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