





Vorstellungen


Filmkritik
Im Anfang steckt schon alles drin. Eine Draufsicht auf ein Bett, in dem Mutter und Tochter schlafend nebeneinander liegen. Ein Bild, das tiefe Vertrautheit ausstrahlt. Der Lichtwecker lässt auf die Gehörlosigkeit der Mutter schließen. Vom Fenster her dringen Straßengeräusche ins Zimmer. Eine akustische Akzentuierung der Außenwelt, die das Gefüge zwischen Mutter und Tochter bald mehr und mehr irritiert.
So ruhig beobachtet und von zwischenmenschlicher Nähe geprägt wie der Beginn funktioniert „Wenn du Angst hast nimmst du dein Herz in den Mund und lächelst“ auch im Folgenden; der ungewöhnliche Titel zitiert dabei einen Satz aus dem Roman „Warum das Kind in der Polenta kocht“ von Aglaja Veteranyi.
Geld kann man sehen
Die Regiedebütantin Marie Luise Lehner weiß, was sie tut. Das zeigt die Bilderfolge, die sich an diese Eröffnung anschließt. Erst sieht man die Wohngegend der 12-jährigen Anna (Siena Popović) und ihrer Mutter Isolde (Mariya Menner). Eine triste Anlage am Wiener Stadtrand, in der offensichtlich wenig Geld zirkuliert. Es folgt ein kontrastierender Schnitt auf das Gymnasium, das Anna ab heute besucht. Das Schulgebäude sieht deutlich nach mehr Geld aus. Das bestätigt sich auch beim Kennenlernen der neuen Mitschüler, deren Eltern besser betucht sind als die alleinerziehende Isolde.
Das Motiv der Außenwelt, die in die Lebenswelt der Zweier-Familie einsickert, setzt sich in der Mädchenumkleide fort. Annas Schulkameradinnen sprechen über „zu breite Hüften“. Solche und andere kritische Bewertungen erreichen Anna in ihrer neuen Lebensphase mal direkt, mal indirekt. Dass die Heranwachsende in die Pubertät kommt, macht alles komplizierter. Kaum zuhause, überprüft sie im Spiegel ihren Körper. Sie sei „irgendwie nicht richtig angezogen“ gewesen, kommentiert Anna den ersten Schultag – und leiht sich prompt den gefälschten Markenpullover einer Nachbarin aus dem Hochhaus. Aber das reicht nicht. Die geplante Ski-Freizeit der Schule ist zu teuer; Isolde meldet die Tochter vor dem Ausflug krank.
Anders als die anderen
Weil Anna über die neue Schule ganz andere Lebensverhältnisse kennenlernt, wirkt die beengte Wohnsituation mit ihrer Mutter noch ein Stück enger. Mutter und Tochter teilen sich ein Bett, weil es in der Wohnung kein zweites gibt. Erst eine Schlafcouch schafft einen kleinen eigenen Bereich für Anna – und eröffnet auch Isolde die Möglichkeit, mit ihrem neuen Partner Atila (Markus Schramm) zu schlafen. Anna beginnt, sich für ihre Herkunft zu schämen. „Warum sind wir immer in allem anders?“, greift sie ihre Mutter an, da sie als einzige in ihrer Klasse kein Smartphone besitzt. Die Schauspieldebütantin Siena Popović vermittelt die Sorgen und die gelegentliche Wut der Hauptfigur sehr einnehmend. Ein vielversprechender, optimal gecasteter Auftritt.
Das Fingerspitzengefühl der Regisseurin zeigt sich auch im Verzicht auf allzu dramatische Zuspitzungen der Ungleichheit. Es gibt keine antagonistischen Figuren, weil die Ungleichheit im Lebenslauf schon unangenehm genug ist. Die Kinder aus Annas Schulklasse haben schlicht kein Sensorium für Armut und ihre Folgen. Oder dafür, dass das selbstgemalte Bild, das Anna als Geburtstagsgeschenk überreicht, viel schöner ist als die unpersönlichen Präsente der anderen. In ihrer Mitschülerin Mara (Jessica Paar), die bei ihrem queeren Vater aufwächst, findet Anna eine Verbündete. Denn Mara besitzt wie Anna einen Sinn für die Unterschiedlichkeit von Lebenswegen. Die Gehörlosigkeit von Annas Mutter wird dabei nur in kleinen Alltagsirritationen und ohne Pathos problematisiert. Isolde ist mehr als ihr Handicap.
Eine sichere Bank
Inszeniert ist der Film mit vielen nahen und übersichtlich arrangierten Bildern (Kamera: Simone Hart), die viel zur lebensnahen Eindrücklichkeit beitragen. Der ruhige Erzählrhythmus öffnet den Raum für subtile Beobachtungen. Lediglich zwei oder drei schrille Statistenauftritte fallen aus dem Rahmen des ansonsten bodenständigen Charakterdramas. Ebenfalls nicht subtil, dafür aber treffsicher ist der punktuell eingesetzte Soundtrack, der die Handlung wahlweise mit Punk, Pop oder Melancholie kommentiert. In den besten Momenten lehnen sich die Stücke rebellisch gegen die Verhältnisse auf.
Trotz allem zeichnet Lehner die junge Protagonistin nicht als Opfer. Ganz im Gegenteil wirkt die schlagfertige Anna selbstsicherer als die Gleichaltrigen, was sich unter anderem darin zeigt, wie unverkrampft sie mit dem Klassenschönling anbandelt. Ihr Selbstbewusstsein wird strapaziert, bleibt aber immer intakt. Die Quelle ihrer Stärke ist die von Liebe geprägte Beziehung zu ihrer Mutter. Auch wenn die Verbundenheit ins Straucheln gerät, steht sie in ihren Grundfesten nie zur Debatte. Einer der schönsten Momente des Films ist eine lange wortlose Umarmung, die Bände spricht. Die eingangs angedeutete Innigkeit zwischen Mutter und Tochter ist für beide ein verlässliches Fundament.
