






- Veröffentlichung23.10.2025
- RegieArash T. Riahi
- ProduktionÖsterreich (2025)
- Dauer92 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 6
Vorstellungen






Filmkritik
Kann eine Feministin religiös sein, an Gott glauben oder sich gar aktiv am Gemeindeleben beteiligen? Ist nicht vielmehr jede theistische Religion, insbesondere die drei Buchreligionen Judentum, Christentum und Islam, historisch wie systematisch ein Affront gegen das Frausein an sich, eine oder vielleicht die mächtigste Waffe der Frauenunterdrückung?
Die Antworten auf solche Fragen fallen in der dokumentarischen Collage „Girls & Gods“ von Arash T. Riahi und Verena Soltiz höchst unterschiedlich aus. Der Bogen spannt sich von der emblematischen Eingangssequenz mit der ukrainischen Femen-Aktivistin Inna Schewtschenko, die 2012 mitten in Kiew ein riesiges Kreuz mit der Motorsäge zu Fall bringt, während am Ende des Films eine interreligiöse Feier beim Christopher-Street-Day in Berlin vielen Formen queerer Frömmigkeit Platz verschafft.
Es lebe die Blasphemie!
Die Bandbreite der vor Ansichten, Erfahrungen, Einstellungen und Gedanken nur so überquellenden Recherche reicht dabei von der französischen Zeichnerin Coco, die 2015 das „Charlie Hebdo“-Attentat überlebte und ihr Credo „Es lebe die Blasphemie!“ mit dickem Stift weiterhin in wütende Karikaturen übersetzt, bis zur katholischen US-Priesterin Shanon Sterringer, die im Gottesdienst Jesus von patriarchalen Übermalungen befreit. Man sieht Videos von „Pussy Riot“-Aktionen oder Handy-Aufnahmen junger Frauen in Teheran, die sich ohne Hijab ins Freie trauen, taucht in feministische Installationen ein, in denen überdimensionierte Vulven barocke Kirchenbilder verdecken, folgt einer britischen College-Debatte, ob der Islam mit den allgemeinen Menschenrechten vereinbar ist, und begegnet in dem kurzweiligen, durchaus auch unterhaltsamen Film mehr als 30 Protagonistinnen unterschiedlichster religiöser Couleur, die ebenso wortmächtig wie authentisch über sich und ihre Überzeugungen sprechen.
Zusammengehalten wird das ambitionierte Geflecht von Inna Schewtschenko, die den Film initiiert hat und als Gesprächspartnerin fast durchgängig mit im Bild ist. Die Aktivistin, die seit ihrer medienwirksamen Kreuzfäll-Aktion im Exil in Frankreich lebt, reist seit Anfang der 2020er-Jahre durch die halbe Welt, um ihre Gesprächspartnerinnen vor der Kamera zu treffen. Vielleicht spiegelt sich in der wenig zwingenden, mitunter recht mäandernden Struktur von „Girls & Gods“ auch ein Erkenntnisprozess von Schewtschenko wider, da sich in der Fülle der Begegnungen, Statements, Songs und Kunstinterventionen drei inhaltliche Stränge ausmachen lassen: Zeugnisse und Reflexionen über religiös grundierte patriarchale Gewalt gegen Frauen; Debatten mit vornehmlich islamischen Aktivistinnen europäischer Abstammung wie Khola Maryam Hübsch oder Lauren Booth sowie auffallend softe, konfliktfreie Begegnungen mit christlichen Theologinnen wie Shanon Sterringer oder der Autorinnen-Gruppe um die Schweizerin Élisabeth Parmentier und ihr Frauenbibel-Projekt.
Hinter dem Schleier
Dieser dritte Strang um katholische oder evangelische Frauen, die sich nicht länger von ihren männlich dominierten Glaubensgemeinschaften gängeln lassen, ist dabei der am wenigsten ergiebige; diese Frauen erzählen nicht mehr von ihren Kämpfen mit der Männerkirche, sondern strecken sich nach einer anderen Zukunft aus. Spannend und herausfordernd wird der Film hingegen in den Rededuellen mit intellektuellen Muslimas, die ihre Sicht der Dinge darlegen und streitbar dafür einstehen, dass sie nur verschleiert in die Öffentlichkeit treten. Für Hübsch wie Booth ist die islamische Kleiderordnung eine Befreiung vom „Male Gaze“ und einer sexualisierten Kultur, in der Frauen auf ihr Äußeres reduziert werden. Dass islamische Gesellschaften dabei alles andere als feministische Paradiese sind, ficht sie aus europäischer Perspektive hingegen kaum an; hier hilft der idealisierte Rekurs auf den Religionsstifter Mohammed als wahres „Role Model“, den sich Muslime als Vorbild nehmen müssten. Der Prophet – im Christentum wahlweise oft auch Jesus – sei schließlich der erste Feminist gewesen!
Doch was ist dann passiert, will Schewtschenko wissen. Warum ist der Islam in all den Jahrhunderten seit Mohammed nie als Befreiungsbewegung gegen das Patriarchat in Erscheinung getreten? Das ist keine rhetorische Volte, sondern der bittere Ausgangspunkt des Films: die Erfahrung religiös begründeter Misogynie. Exemplarisch erinnert Schewtschenko eingangs an ihre eigenen Erfahrungen, wie sie als junges Mädchen am Sonntag nicht mit zum Gottesdienst durfte, als sie zum ersten Mal menstruierte. In allen drei in „Girls & Gods“ thematisierten Religionen verbinden sich kultische Vorstellungen von (weiblicher) Unreinheit mit männlicher Herrschaft zu einem patriarchalen System, dessen – im Grunde genommen lächerliche – Monstrosität schon ein einziger Blick in eine Moschee offenbart, in dem sich ausschließlich Männer zum Gebet versammeln, während Frauen abseits auf der Empore ein kleiner, vergitterter Raum zugewiesen wird.
Von den brutalen Auswüchsen männlicher Dominanz erzählen in „Girls & Gods“ viele Ex-Muslimas, die dem Terror der Mullahs nur durch Flucht in den Westen entkamen. Oder die im Iran mit barbarischen Gefängnisstrafen verfolgt werden, wenn sie es wagen, mit dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“ auf den Lippen ohne Schleier auf den Straßen spazieren zu gehen. Das nachhaltigste, auch visuell ausgeklügeltste Bild gelingt „Girls & Gods“ aber in einem jüdischen Perückenladen in New York, wo Schewtschenko und die Inhaberin Rifka Simon vor einer großen Wand mit Echthaar-Perücken in allen Farbtönen stehen; fromme orthodoxe Frauen verbergen damit ihre naturwüchsigen Haare, die nur ihr Ehemann sehen darf. Besonders bizarr erscheint dabei die Auskunft, dass viele eine Haartracht wählen, die ihrer natürlichen Frisur ähnelt.
Disparate Wirklichkeitssplitter
Warum aber wenden sich Frauen, die den Zusammenhang zwischen einem männlichen Gott und seiner männlichen Dienerschaft durchschauen, nicht schreiend von solchen Zwangsverhältnissen ab und tätowieren sich beispielsweise als Bekenntnis das Motto „Ni Dieu Ni Maître“, weder Gott noch Meister, auf die Haut? Die Antworten darauf fallen vielfältig aus: von Gottesliebe über reformatorische Absichten bis zur Einsicht einer Transfrau aus dem chassidischen Milieu in New York, dass es leichter sei, tief verwurzelte Traditionen für die individuellen Lebensumstände umzugestalten, als sich komplett von ihnen zu lösen.
„Girls & Gods“ ist eine wahre Fundgrube voller disparater Wirklichkeitssplitter, von denen jeder einzelne eine vertiefende Betrachtung verdient hätte. Man braucht Geduld und Interesse, um sich auf die aktivistische Energie und die mediale Stilisierung von Inna Schewtschenko einzulassen; ohne sekundierende Recherchen im Internet bleiben viele Episoden oberflächlich bis unverständlich. Doch wenn man sich auf den stakkatohaften Duktus einer dezidiert weitgefassten Umschau einlässt und Widersprüche, Zumutungen und extreme Ansichten auszuhalten bereit ist, geleitet der Film auf ein kompliziertes Feld, das der Auseinandersetzung lohnt.
