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Filmkritik
Auf dem Antlitz des rötlich gefärbten Hütehundes Indy liegt blanke Panik, als eine unsichtbare Kraft in Gestalt einer dunklen Hand versucht, ihn in seine Hütte zu ziehen. Im strömenden Regen reißt er sich von der Kette los und flieht in den Wald, in einer Mischung aus Instinkt, Orientierungslosigkeit und purer Angst, die der Film konsequent in die Perspektive seines tierischen Protagonisten verlegt.
Mit „Good Boy“ unternimmt Regisseur Ben Leonberg ein seltenes Experiment im Horrorkino. Er erzählt eine klassische „Haunted House“-Geschichte nicht aus Sicht der bedrohten Menschen, sondern durch die sensorische Wahrnehmung eines Hundes. Der Inhalt und die Prämissen der Story sind schnell umrissen. Indy lebt mit seinem Besitzer Todd (Shane Jensen) in einer abgelegenen Waldhütte. Das Anwesen gehört Todds Familie und ist mit einer rätselhaften Vorgeschichte belastet.
Aus der Sicht des Tieres
Als Todd plötzlich erkrankt, mit Nasenbluten und Schwächeanfällen, und blutige Spuren im Haus hinterlässt, nimmt der Film Fahrt auf. Die paranormalen Ereignisse häufen sich; Türen schlagen aus dem Nichts zu, Schatten liegen im Raum. Doch anders als in herkömmlichen Filmen über verwunschene Häuser richtet Leonberg den Blick nicht auf das psychologische Erleben einer menschlichen Figur, sondern auf die Reaktion eines Tieres, das Geräusche wahrnimmt, Gerüche wittert und Reize interpretiert – und dabei dennoch auf Gedeih und Verderb an den Menschen gebunden ist, der ihm normalerweise Schutz, Versorgung und Orientierung bietet.
Der emotionale Kern von „Good Boy“ liegt damit in der Frage, was geschieht, wenn der Mensch als Garant der Sicherheit ausfällt und das Tier allein mit dem Übernatürlichen konfrontiert ist. Die Kamera bleibt durchgehend auf Augenhöhe des Hundes und nutzt häufig Weitwinkeloptiken, die die Räume verzerren und Entfernungen schwer einschätzbar machen. Durch diesen subjektiven Blick entsteht allerdings keine psychologische Innenperspektive, sondern eine körperliche. „Good Boy“ ist ein Kino der Reizreaktion; der Film verzichtet auf klassische Spannungssteigerung durch Dialoge, Konflikte oder Enthüllungen. Stattdessen entsteht die Spannung aus unmittelbaren Sinnesreaktionen: Der Hund hört ein Geräusch, bleibt abrupt stehen und legt die Ohren an; die Kamera folgt diesen instinktiven Momenten, die zum dramatischen Motor des Films werden.
Menschen tauchen in „Good Boy“ nur peripher auf; ihre Gesichter bleiben im Halbdunkel oder außerhalb des Fokus, als seien sie für Indy – und damit für die Zuschauer – bloß schemenhafte Bestandteile einer unsicheren Umwelt. Die Handlung wird nicht über Dialoge vermittelt, sondern über Bewegungen im Raum: eine Tür, die sich öffnet, Bluttropfen auf dem Boden, ein Knacken im Zwischenraum der Wände.
Präsenz statt Bedeutung
Diese Abstraktion der menschlichen Ebene wird vor allem durch das Sounddesign ermöglicht. Rascheln, Schlurfen, tropfendes Wasser und entferntes Heulen werden stärker gewichtet als Musik oder Sprache. Die Tonspur legt sich wie ein kaum wahrnehmbares Netz über den Film und schafft eine akustische Dramaturgie, in der die Bedrohung nicht untermalend erklärt, sondern unmittelbar gespürt wird. Das Geräusch wird zum Auslöser von Blickbewegung und Schnitt. Die Filmmusik bleibt minimalistisch, ist eher atmosphärischer Untergrund als emotionale Kommentierung, was ebenfalls dazu beiträgt, dass „Good Boy“ weniger über Bedeutung als über Präsenz erzählt.
Filmhistorisch bewegt sich Leonberg damit in einer Linie mit Filmen, die das tierische Erleben zur zentralen Erzählinstanz machen. Doch im Unterschied zu „Zum Beispiel Balthasar“ von Robert Bresson, in dem ein Esel als allegorisches Wesen zum Spiegel der menschlichen Moral wird, vermeidet Leonberg jede symbolische Überhöhung. Indy ist keine Metapher, sondern ein empfindendes Lebewesen mit äußerst begrenzten Handlungsressourcen. „Good Boy“ steht eher filmischen Ansätzen wie in Kornél Mundruczós „White God“ oder „Gunda“ von Victor Kossakovsky nahe, in denen tierische Wahrnehmung und Körperlichkeit dokumentarisch in den Vordergrund treten.
Indem auf diese Weise das sensorische Erleben ins Zentrum rückt, verschiebt sich auch der Horror weg vom Übernatürlichen hin zu einer existenziellen Erfahrung von Ohnmacht. Das Tier hat keine Sprache und verfügt über keine kulturellen Deutungsmuster; es reagiert vielmehr unmittelbar. Trotz seiner nur 74 Minuten gerät der Film im Mittelteil aber ins Stocken. Wiederholungen einzelner Bewegungsabläufe und eine dramaturgische Engführung auf immer gleiche Räume mindern die Intensität. Auch das schmale Budget macht sich bemerkbar: Spezialeffekte fehlen fast vollständig, manche bedrohliche Erscheinung wirkt geradezu abstrakt.
Angst, Abhängigkeit & Isolation
Doch der filmische Ansatz, Wahrnehmung strikt über Sinnesreize zu organisieren und dabei den Zuschauer in eine tierische Perspektive einzuschließen, bleibt bemerkenswert. Der Film verweigert eine allegorische Auflösung und verharrt in der unmittelbaren Erfahrung des Hundes, ohne Erklärung oder symbolische Erlösung. Was bleibt, ist die elementare Erfahrung von Angst, Abhängigkeit und existenzieller Isolation.
In einer Zeit, in der das Horrorkino zunehmend psychologisiert oder auf spektakuläre Effekte setzt, wagt „Good Boy“ die Rückkehr zu einem elementaren Angstbild: der existenziellen Verwundbarkeit eines Lebewesens, das weder versteht noch erklären kann. Gerade darin besteht die radikale Empathie-Geste dieses bemerkenswerten Genrefilms, der auf unmittelbare körperliche Erfahrung setzt: Angst wird nicht gedacht oder interpretiert, sondern gespürt – durch Bewegung, Geräusch und Instinkt.
