









Vorstellungen










Filmkritik
Das Filmset brennt. Die Komparsen, welche in der nächsten Szene die Trümmer wegräumen sollen, stehen schon bereit. Es sind Geflüchtete. Regisseur Yiğit (Serkan Kaya) vermittelt ihnen gerade den Kontext: Die Ruine sei das Haus der Familie Genç, auf die 1993 ein rassistischer Brandanschlag verübt wurde. 17 Menschen waren verletzt worden, fünf von ihnen tödlich, darunter drei Kinder. Der Bundeskanzler habe nicht an der Trauerfeier teilgenommen. Sie, der Aufräumtrupp, seien nun diejenigen, die trotz all ihrer Wut und all ihrer Verzweiflung aufräumen müssten. Sie sollten es aber ganz normal tun, so wie sie eben sonst auch ihre Arbeit machen. Die pompöse und zugleich fahrige Regieanweisung produziert tatsächlich eine Jahrhundertdarbietung. Said (Mehdi Meskar), einer der Komparsen, bricht in Tränen aus, wirft Trümmer gegen die Wand des Sets, bis ihn jemand bremst. Seine Wut ist echt: unter den Requisiten ist ein verbrannter Koran.
Das ganze Ausmaß der Empörung
Nach Drehschluss offenbart sich das ganze Ausmaß der Empörung. Der Fahrer Majid (Nazmi Kırık) ist verschwunden und die anderen Komparsen noch immer sichtlich mitgenommen. Regisseur Yiğit annonciert feierlich, dass die Szenen mit den Komparsen abgedreht seien und verschwindet dann. Said lässt sich nichts anmerken, sondern macht lieber der Praktikantin Elif (Devrim Lingnau) schöne Augen. Mustafa (Aziz Çapkurt) hingegen, der als Regisseur inszenierungserfahren ist und atheistisch lebt, fühlt sich tief verletzt. Mit einem Film, der für das gute Gewissen Europas gedreht würde, könne er sowieso nichts anfangen; dafür auch noch einen Koran zu verbrennen, sei schlichtweg unnötige Provokation.
Das Paar, das für den Film verantwortlich zeichnet – Yiğits Frau Lilith (Nicolette Krebitz) ist Produzentin des Films – steht bald vor der Entscheidung, ob sie das kontroverse Material nun aus dem Film schneiden oder nicht. Was sie noch nicht wissen: Die Praktikantin Elif hat ihren Wohnungsschlüssel verloren, und das von ihr verstaute Filmmaterial ist bald nicht mehr an seinem Platz. Elifs Suche führt den Film, über einen potenziell bedrohlichen Chat mit dem „Finder“ des Schlüssels, einer selbstinstallierten Überwachungs-App und einigen stockfinsteren Nächten im Altbau der Filmemacher:innen, ins Whodunit-Genre.
Zwischen den Diskurs-Fronten
Elifs Suche nach dem verlorenen Schlüssel und ihre Interaktionen mit den Komparsen machen den Hauptteil der Handlung aus. Ihre Herkunft situiert sie zunächst zwischen den Diskurs-Fronten: niemand sieht ihr an, dass sie türkischer Herkunft ist, bis sie in einem hitzigen Gespräch versucht, den Fahrer Majid zu beruhigen, indem sie Türkisch mit ihm spricht. Said erzählt sie später die Geschichte ihres Vaters, der einen Dönerladen besaß und all ihre Mitschüler:innen gratis dort essen ließ, weil sie angeblich „Freunde“ waren. Für Elif ist das noch heute ein Zeichen von Naivität.
„Hysteria“ ist Film über Film und zugleich ein Diskurs über Diskurs; ein auf der Meta-Ebene konstruiertes und darin so ambitioniertes wie geschwätziges Stück Kino. Regisseur und Autor Mehmet Akif Büyükatalay hat viel vor; er will alte Diskurse neu ausdiskutieren, die daraus resultierenden Streits in neue Streits auflösen und generell all jene bestrafen, die weniger auf Lösungen hinarbeiten, als ihre eigene Empörung zu pflegen. Die ihre Karriere voranbringen und sich mit der eigenen Identität oder dem eigenen Opferstatus eine moralische Überlegenheit sichern wollen. Mit anderen Worten: „Hysteria“ teilt gegen alle und jeden aus, betont lustvoll, bissig und assoziativ. Mal wird Michael Haneke in Buchform als Türstopper gebraucht, mal führt die Palästina-Flagge, die Elif auf der Suche nach dem Schlüssel im Messenger-Profil eines angeblichen Finders sieht, über Video-Schnipsel mitten in die Kriegsrealität in Gaza.
Zurück zu Feuer und Verdammnis
Überall lauert der Diskurs, auch dort, wo sich „Hysteria“ zaghaft in Richtung Thriller vorwagt. In Fahrt kommt der Film entsprechend nicht dort, wo er im schummrigen Licht von Altbau und Filmset umherschleicht, sondern allein dort, wo Diskussionen überbrodeln und der Film mit seiner eigenen Hysterie die Abscheulichkeiten zutage fördert, die alle Figuren hinter anderen Fassaden verstecken. Der dazugehörige Zirkelschluss führt direkt zurück zu Feuer und Verdammnis. Vielleicht eine gerechte Strafe, vielleicht bissige Satire, sicher aber auch ein einfacher Ausweg aus einer aufrichtigeren Diskussion.
