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Filmkritik
Seine Leidenschaft hat der kleine Riccardo schon früh entdeckt: anmutig schöne Frauen, denen er sich näher fühlt als den machohaften Jungs aus seiner Klasse, und die er für den Inbegriff von Freiheit hält. In der Rolle des Bewunderers findet er schon in der Kindheit Verbündete. Als sein Vater heimlich die Damen aus den gegenüberliegenden Wohnungen beobachtet, teilt er das Fernglas großzügig mit seinem Sohn. Und als ihm ein Polizist ein geklautes Erotikmagazin abnimmt, bietet der ihm zwinkernd an, dass er es jederzeit bei ihm im Büro anschauen könne.
Aus seiner Faszination hat der reale Riccardo Schicchi einen zeitweilig sehr ertragreichen Beruf gemacht. Gemeinsam mit der später auch als Politikerin und Lebensgefährtin von Jeff Koons bekannten Ungarin Ilona Staller gründete er in den frühen 1980er-Jahren die Modellagentur und Porno-Produktionsfirma „Diva Futura“. In Italien war sie die erste ihrer Art. Während sie bei manchen für Begeisterung sorgte, reagierte die Kirche zornig. Neben der als „Cicciolina“ (zu deutsch: Fleischklößchen) bekannten Staller zählte vor allem Moana Pozzi zu den bekanntesten, häufig auch in Fernsehshows zu sehenden Darstellerinnen.
Ein familiär geführtes Unternehmen
Die Regisseurin Giulia Louise Steigerwalt umreißt in „Diva Futura“ die Geschichte des familiär geführten Unternehmens, das im Vergleich zu späteren Hardcore-Produktionsfirmen arglos und idealistisch wirkt. Mehrmals wird betont, wie viel Zeit und Leidenschaft in den Produktionen steckt. In welche Handlungen und Settings die Filme ihre Sexszenen einbetten oder was die stilistischen Eigenheiten des sich als Künstler verstehenden Regisseurs Schicchi sind, interessiert Steigerwalt eher nicht. Der Fokus liegt auf den Menschen und ihren Problemen. Erst als im Film während der 1990er-Jahre härtere, auf Masse setzende Pornos Schicchi Konkurrenz machen, tritt die Naivität seines Geschäftsmodells hervor. Der Einzug des Internets besiegelte dann im neuen Jahrtausend endgültig den Niedergang der Firma.
Pietro Castellitto spielt Riccardo als nerdigen Träumer, der lange von seinem Ehrgeiz angetrieben wird, letztlich aber an seiner Gutgläubigkeit zugrunde geht. „Diva Futura“ vermag aber nicht plausibel zu machen, warum sich der meist als Bürowurm inszenierte Schicchi als Protagonist eignet. Vielmehr erscheinen die bewegten Geschichten der Darstellerinnen deutlich leinwandtauglicher. Doch sie tauchen größtenteils nur am Rande auf, etwa wenn Ilona Staller (Lidija Kordic) ihren Sohn aus den USA zurückbekommen will oder Moana Pozzi (Denise Capezza) den Versuch unternimmt, als seriöse Schauspielerin Fuß zu fassen. Nicht nur wegen ihres frühen Todes ist Pozzi die tragischste Figur des Films. Von Anfang an liegt eine tiefe Traurigkeit über ihrem Gesicht.
Die Oberfläche der Hochglanzbilder
Als großes Dilemma beschreibt Riccardo die ambivalenten Reaktionen aus der Gesellschaft. Seine Pornofilme werden zwar heimlich geliebt, doch in der Öffentlichkeit wird er verachtet. Auch Riccardos Darstellerinnen werden auf Videokassetten oder Postern wie Hollywood-Stars präsentiert, aber von der Gesellschaft nur belächelt. Und doch bleibt auch der kleine Ruhm verlockend. Schicchis Frau Eva (Tesa Litvan) bettelt ihren Mann immer wieder an, ihr Porno-Debüt geben zu dürfen, doch der will nicht. Als sie später aus finanziellen Gründen bei einem auf lieblose Dutzendware ausgerichteten Hardcore-Label anheuert, führt das zu einer demütigenden Erfahrung, von der sie sich nicht mehr erholt.
Gegen Ende mündet „Diva Futura“ immer wieder in melodramatische Szenen, die allerdings erstaunlich leblos bleiben. Nur selten dringt der Film unter die Oberfläche seiner Hochglanzbilder. Die Figuren bleiben blass, ihre Beziehungen untereinander blutleer. Was Riccardos Verhältnis zu seinen Darstellerinnen, zu Eva oder auch seiner langjährigen Assistentin Debora (Barbara Ronchi) ausmacht, reicht selten über bedeutungsvolle Blicke und abgegriffene Dialoge hinaus. Zwar ist von Loyalität und Verbundenheit, manchmal sogar von Liebe die Rede, doch der Film behauptet das nur, statt es glaubhaft zu vermitteln.
Die Geschichte der Erotik-Pioniere
Es dürfte viele spannende Geschichten rund um diese Erotik-Pioniere geben. „Diva Futura“ geht mit dem Ausgangsmaterial jedoch über weite Strecken so ungelenk und ziellos um, dass er davon höchstens eine Ahnung vermittelt. Statt thematische Schwerpunkte herauszuarbeiten, hastet der Film durch die Jahre, erzählt oft episodisch, manchmal auch regelrecht wirr, und lässt dabei vieles links liegen, was den Film interessanter gemacht hätte. Von der Leidenschaft, die den jungen Riccardo infiziert hat, ist in „Diva Futura“ nur wenig zu spüren.