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Ken

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Szenebild von Ken 1
Kokubu, der Kapitän des Kendo-Teams seiner Universität, ist ein Rätsel für diejenigen, die ihn kennen: Ein Asket, der sich bis zur Besessenheit der Einfachheit und Schönheit der Schwertkunst verschrieben hat. Kagawa, ein vielversprechender, aber arroganter Kendo-Schüler, fühlt sich von Kokubus hingebungsvollem Führungsstil angezogen, wird jedoch durch dessen distanzierte Art auf Abstand gehalten. Mit den schnell nahenden nationalen Meisterschaften geraten die beiden aneinander, da Kokubu seine Schüler mit immer rigoroserem Training antreibt und Kagawa Kokubus Autorität in der Klasse infrage stellt.

Leider gibt es keine Kinos.

In einem intimen Moment küsst sich ein Paar auf der Tanzfläche. Doch sobald die Musik wieder einsetzt, entpuppt sich alles als bloße Aufführung während einer ausschweifenden Luxusparty. Besonders der Mann verausgabt sich dabei unerschöpflich und schweißtreibend. Er wirbelt mit vollem Körpereinsatz von der Tanzfläche in den angrenzenden Garten, taucht seinen Kopf in Schüsseln voll Soße und Bowle, wirft sich anschließend – symbolisch sterbend – in den Pool, bevor er zu neuem Leben erwacht, um seine zappelnde Darbietung fortzusetzen.

Der israelische Regisseur Nadav Lapid testet bereits mit der Eröffnungsszene von „Yes“ die Toleranzgrenze des Publikums. Alles ist hier laut, aggressiv, vulgär und grotesk überzeichnet. Das Paar, dem man beim Ausrasten zusieht, sind der Pianist Y (Ariel Bronz) und seine Freundin Yasmin (Efrat Dor), die in einem Fitnessstudio arbeitet. Ihr Wohlstand ist nur gespielt. Mit ihrem jungen Sohn, der einen Tag nach dem Massaker des 7. Oktober 2023 geboren wurde, leben sie in einem beengten Apartment. Bei solchen Feiern versuchen sie so zwanghaft wie krampfhaft, zum Jet-Set zu gehören.

Be My Lover vs. Love Me Tender

Das hat seinen Preis. Laut grölt Y bei der Party den Eurodance-Hit „Be My Lover“, worauf ihm ein militärischer Stabschef mit Gefolgschaft im Gleichschritt entgegentritt und Elvis Presleys „Love Me Tender“ anstimmt. Es entsteht ein Song-Battle, bei dem Yasmin ihrem Freund irgendwann zuflüstert, er müsse den Stabschef gewinnen lassen. Y ist letztlich nur ein Hofnarr, der sich an das anbiedert, was er verachtet, und dadurch unweigerlich seine Würde verliert.

Nach der Eröffnungsszene blendet der Film das Bild „Die Stützen der Gesellschaft“ von George Grosz ein. Der linke deutsche Maler hatte darin schamlos und angriffslustig die Verlogenheit der Weimarer Elite kariert. Nadav Lapid, der sich in Filmen wie „Synonymes“ den blinden Nationalismus seiner Heimat vorknöpft, holt zu einem sehr ähnlichen Rundumschlag aus. Bald befindet man sich auf den nächsten Partys der Reichen und Mächtigen; erst auf einer Yacht, dann auf dem Dach eines Hochhauses. Luxus wird zur Schau getragen, Israel-Fahnen werden geschwenkt und ein Mann, der mit seinen blond gefärbten Haaren und schlecht aufgetragener Bräunungscreme stark an Donald Trump erinnert, wirft allen Medien Antisemitismus vor. Am Ende, mit Blick in die Kamera, auch den Zuschauern.

Lapid inszeniert absichtlich mit dem Holzhammer. Die ständige Zustimmung Ys, die schon im Titel steckt, ist eine endlos wiederholte Lüge. Alles ist hoffnungslos überzeichnet und auf grelle Kontraste reduziert. In den luxuriösen Tanz auf dem Vulkan bricht schließlich der Krieg herein. Während Y die Strandidylle in Tel Aviv genießt, liest er Nachrichten über die Bombardierung des Gaza-Streifens. Es folgen Schreckensbilder sowie ein Sound-Inferno aus Explosionen und Schreien.

Eine unaufhörliche Attacke

Die lärmende Plumpheit des Films kann einem durchaus auf die Nerven gehen. Die angestrengte Künstlichkeit, die sich auch in Ys endlosem Grimassieren zeigt, unterstreicht immer wieder, wie falsch die dargestellte Welt ist. Beeindruckend an dieser unaufhaltsamen audiovisuellen Attacke sind die Kapriolen von Kamera (Shai Goldman) und Schnitt (Nili Feller), die sich zwischen lebendigen Tableaus und avantgardistischen Montage-Experimenten bewegen. Inhaltlich fühlt sich „Yes“ aber recht schlicht an. Die satirische Form bleibt überwiegend fruchtlos, vermutlich auch, weil der Humor dabei auf der Strecke bleibt. Der konservativen Propaganda setzt der Film letztlich eine progressive entgegen. Vielleicht ist man nach über zwei Jahren Gaza-Krieg und den ungebrochen erbitterten rhetorischen Grabenkämpfen auch einfach zu sehr von der Unversöhnlichkeit ermattet, um Lapids wütende Polemik schätzen zu können.

Von einem russischen Oligarchen wird Y schließlich beauftragt, eine neue kämpferische Nationalhymne zu komponieren. Finanziell ist es für ihn ein Glücksfall, moralisch der totale Bankrott. Die reale Vorlage für die neue Hymne war ein Video der Gruppe „Civic Front“, die nach dem Kriegsausbruch ein patriotisches Volkslied von Haim Gouri martialisch umdichtete und darin einen Kinderchor von der geplanten Auslöschung Gazas singen ließ.

Hinter der Clownsmaske

Das zweite Kapitel von „Yes“ beginnt deutlich ruhiger. Auf den alles verdrängenden Hedonismus folgen Reflexion und Buße. Y flieht in die Wüste, wo er seine Ex-Freundin Leah (Naama Preis) trifft, die sich als Übersetzerin gleichfalls von der Obrigkeit korrumpieren ließ. Statt der ewigen Clownsmaske zeigt Y nun sein wahres Gesicht – er spricht über seine Ängste und Widersprüche. Der Film wird damit deutlich zurückgenommener und ernster; er thematisiert die Zerrissenheit in Israel wie auch die allgemeine Hilflosigkeit, als Kind dort unweigerlich national(istisch) sozialisiert zu werden. Der Blick ist differenzierter, die Inszenierung dafür allerdings statischer und dialoglastiger.

Geplant wurde der Film bereits vor dem 7. Oktober, doch Lapid passte ihn während des Drehs an die Gegenwart an. Etwa durch einen längeren Monolog Leahs, der detailliert die Gräuel des Hamas-Anschlags beschreibt. Von einem – ausgerechnet –als „Hügel der Liebe“ benannten Aussichtspunkt blicken die beiden schließlich auf die Zerstörung in Gaza. Derweil lauert schon wieder der nächste satirische Angriff. Am Schluss darf Y dem russischen Oligarchen die Stiefel lecken. Nicht nur kurz, sondern über Minuten. In solchen Momenten weigert sich „Yes“ geradezu trotzig, vom Fleck zu kommen. Man muss Nadav Lapid den hyperexpressiven Stilwillen anrechnen, doch über zweieinhalb Stunden Laufzeit bleibt sein Film zu oft redundant und selbstgefällig.

Veröffentlicht auf filmdienst.deKenVon: Michael Kienzl (4.11.2025)
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