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Filmkritik
Fühlt sich ein Orgasmus wirklich so an wie das Gefühl, das einsetzt, wenn der Schmerz, den ein angestoßener Zeh verursacht hat, wieder abebbt? Ihren Freund Tim (Jason Klare) kann Inken (Kya-Celina Barucki) noch so sehr beschwören, dass er beim gemeinsamen Sex an den Klimawandel denken soll, um nicht schon wieder zu früh zu kommen. Das Bekenntnis, noch nie einen Orgasmus mit ihm erlebt zu haben, wischt er rabiat damit beiseite, dass sie sich einfach mehr anstrengen solle. Als er sich zu ihrem 17. Geburtstag eine Schleife um seinen Penis bindet – „Das ist ein Geschenk, das immer größer wird“ –, beschließt sie, ihm den Laufpass zu geben.
Der Sommer steht zu Beginn von Martina Pluras wunderbarer Teenagerkomödie „Mädchen, Mädchen“ kurz bevor. Gemeinsam mit ihren Freundinnen Lena (Nhung Hong) und Vicky (Julia Novohradsky) will sich Inken ihr Lustempfinden nicht mehr von ein paar Jungs diktieren lassen, die ihre selbstbezogene Pubertät wahrscheinlich nie verlassen werden.
Stütze des Mainstreamkinos
Um die Jahrtausendwende war Dennis Gansels „Mädchen, Mädchen“ (2000) neben „Harte Jungs“ (2001) von Marc Rothemund und Marco Petrys „Schule“ (2000) eine der zahlreichen deutschen Antworten auf das Revival der US-amerikanischen High-School-Komödie, das mit dem sintflutartigen Erfolg von „American Pie“ (1999) einige Jahre lang zu einer wesentlichen Stütze des Mainstreamkinos geworden war. In einer Hinsicht schien Gansels „Mädchen, Mädchen“-Film aber explizit anders zu sein. Denn die Drehbuchautorin Maggie Peren wollte in dem lose am flotteren Screwball-Ton der 1990er-Jahre-Beziehungskomödien angelehnten Film die sexuellen Unsicherheiten der Teenagerzeit aus weiblicher Perspektive erzählen. In seinem Humor, jener postmodern durchgestylten Spielart der sogenannten Cringe-Comedy, die ihre Pointen aus zwischenmenschlicher Ungeschicklichkeit und Befangenheit zieht, wirkt Gansels Film heute dennoch wie ein typisches Kind seiner Zeit. Denn zwischen erotischen Missgeschicken und Demütigungen auf der Klassenparty ließ er seine Protagonistinnen mit ihren jugendlichen Sorgen letztlich allein und führte sie eher vor, bevor sie sich schließlich in der nachgeschobenen Fortsetzung „Mädchen Mädchen 2 – Loft oder Liebe“ (2004) lapidar mit festen Beziehungen und karriereversprechenden Studienabschlüssen in die sich neoliberal umstrukturierende Gesellschaft der frühen Nullerjahre eingliederten.
Die Ungeschicklichkeiten der Pubertät
„Das nächste Mal nehmen wir wieder die Räder“, sagt in der bekanntesten Szene eine Frau zu ihrem Ehemann, nachdem sie gerade beobachtet hatte, wie sich die von Diana Amft gespielte Inken unverhofft auf einem Fahrradsattel befriedigen konnte. Die an „Harry und Sally“ angelehnte Sequenz greift Martina Plura auch in ihrem Remake auf. Im Vordergrund steht jedoch nicht das peinliche Gefühl, bei etwas beobachtet worden zu sein, das eigentlich intim und privat ist, sondern die Hochstimmung, zum ersten Mal einen Orgasmus gefühlt zu haben. Mit gutem Sex lassen sich, scheint der neue „Mädchen, Mädchen“-Film zu sagen, womöglich auch die besseren Gags erzielen.
Wie zuvor Franz Henman mit „Hammerharte Jungs“ (2023) gelingt Plura so in ihrer Bearbeitung von „Mädchen, Mädchen“ der seltene Fall eines Reboots, das sensibler und doch zugleich auch lustiger als das Original ist. Indem sie ihre Heldinnen in ihren Problemen ernster nimmt, schenkt sie ihnen zugleich auch eine adäquat tröstende Art von Humor. Jede als unangenehm empfundene Ungeschicklichkeit der Pubertät kann auch eine Methode sein, die eigenen Fantasien und Bedürfnisse kennenzulernen. Für diese Erkenntnis eignet sich die Medienlage des Jahres 2025 möglicherweise mehr als die Vergangenheit. Während die Mädchen im Original-Film noch Aufklärung bei einer launigen Tantra-Kurs-DVD suchten, erweist sich mittlerweile das Internet als verlässlicheres Hilfsmittel, um zu lernen, was ein „orgasm gap“ ist oder was sich hinter „guided masturbation“ und „femtasy“ verbirgt.
Ein Klassiker des Genres
Trotzdem legt „Mädchen, Mädchen“ mehr Wert auf gelungen durchgespielte Zoten als auf einen allzu wohlfeilen und übereifrigen Bildungsauftrag. Darüber, wie es sich anfühlt, von den Klassenkamerad:innen erwischt zu werden, weil man softpornografische Young-Adult-Literatur online gestellt hat oder in der Apotheke in ein peinlich detailliertes Konsultationsgespräch über Vaginalpilz verwickelt worden zu sein, erzählt der Film in einem schnellen, so leichten wie mitfühlenden Komödientonfall, der ihn zu einem Klassiker des Genres machen könnte.