- Veröffentlichung17.09.2025
- RegieAndreas Goldstein
- Dauer92 Minuten
- GenreDokumentarfilm
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Filmkritik
„Die Kapitulation des deutschen Sozialismus war beiläufig erfolgt, in Form eines Reisegesetzes“, heißt es zu Beginn des dokumentarischen Essays „Mein Land will nicht verschwinden“. Dieser lakonische Ton dominiert den Film von Andreas Goldstein, von der unmittelbaren Zeit der „Wende“ bis in die 1990er-Jahre hinein. Mit dem Satz „Ihre Gegenwart wird Geschichte, und ihre Geschichte ein umkämpftes Gebiet“, skizziert der 1964 in Ostberlin geborene Filmemacher zugleich auch die (gesellschafts-)politische Haltung des Films. „Das Wasser durchzog die geteilte Stadt in seinen geteilten Armen. Es kam aus tschechischen Bergen, passierte zwei Grenzen, um sich im Meer aufzulösen. Auch dieses lächerlich kleine Wasser trieb ins Meer“, klingt in diesem Satz beinahe zärtlich ein bis heute präsentes Unterlegenheitsgefühl an.
Es geht Goldstein um das, was hätte sein und was hätte werden können – und dann zweimal überrollt wurde. „Die DDR war weder Ziel noch Erfüllung, sondern ein Übergang. Das Fundament des Landes war die Zukunft", kommentiert er den Versuch des deutschen Sozialismus, der schon bald von der Unfähigkeit seiner Funktionäre und ihrer eigentümlichen Schlichtheit bestimmt wurde. Als sich die Menschen dann vom Führungsanspruch der Partei der Arbeiterklasse emanzipierten, kamen der Westen, Konsumversprechen und die D-Mark.
Berührend und ehrlich
Das ist keine ganz neue Sicht auf die letzten Jahrzehnte der deutsch-deutschen Geschichte. Aber in ihrer manchmal leicht larmoyant wirkenden Intellektualität so berührend wie ehrlich. Goldstein hebt dabei gleich mehrere Schätze aus der Fernsehgeschichte von Ost und West. Etwa den „Hilferuf von drüben“ im konservativen ZDF-Magazin von Gerhard Löwenthal, oder das „Kennzeichen D“, in dem deutsch-deutsche Arbeitsrealitäten und Arbeitende zu Wort kamen.
Wenn es beim Betriebsrundgang über den Kombinatsdirektor heißt: „Die Angestellten machen einen Diener. Die Arbeiter nicht, weil sie so gut wie der Direktor wissen, dass man mit Planziffern mogeln muss“, sagt das mehr als lange Zahlenkolonnen zum wirtschaftlichen Niedergang der DDR. „Wenn die ihre Arbeit machen, passiert denen wenig", murmelt hingegen ein westdeutscher Techniker, der in der DDR eine aus der BRD gelieferte Maschine installiert; im Westen „lastet der Druck ziemlich auf uns“.
„Erwachsen wurde ich in einer Niedergangsepoche. Unmerklich schien dem Land die Zukunft abhandengekommen zu sein“, resümiert Goldstein und fragt: „Mangelte es der DDR an Demokratie? Oder an der Idee der eigenen Entwicklung?"
Honeckers Weltreise
Zwischendurch wird es durchaus komisch, wenn es über den alljährlich zweimal tapfer absolvierten Leipziger Messerundgang des SED-Generalsekretärs heißt: „Honeckers Weltreise dauerte einen halben Tag. Er musste an den meisten Ständen trinken, und am Ende vom sowjetischen Botschafter gehalten werden. Hatten sich die Kommunisten im Zuchthaus oder im KZ so ihre Zukunft vorgestellt?" Gleiches gilt für Goldsteins sachliche Anmerkung: „Ein Freund träumte von einer Karriere als Dissident. Ein unveröffentlichtes Buch, und alle Frauen in Prenzlauer Berg wären seine.“
Die Zeichen der Zeit waren in Goldsteins Augen längst unübersehbar: „Die Regierung, die früher sowjetische Wagen fuhr, war auf französische und schwedische Modelle umgestiegen. Die Losungen hingen noch, aber der Weg schien schon in den Westen zu führen.“
Dann kam das Jahr 1989. Noch im Sommer tat die „DDR so, als sei nichts geschehen. Der Regierung hatte es die Sprache verschlagen. Im Westfernsehen sah ich meine Leute.“ Über Jahre hinweg hatte Goldstein im Fernsehen der DDR immer nur Arbeiter und Bauern stumm bei der Arbeit gesehen. Doch „nun kamen die Arbeiter in einem kurzen Moment der Geschichte zu Wort. (...) Die kurze Ahnung einer anderen Gesellschaft. Sie greifen nach der Verantwortung, klug und ernst und schön, auf dem Boden der Verhältnisse.“ Das bittere Fazit aber lautet: „Der Mauerfall beendete das alles, was gerade begonnen hatte, die Verständigung der Gesellschaft über ihre ureigensten Belange.“
Das besprochene Volk
Bis heute spricht man „vom Osten wie von einem schwierigen Kind; je nach Perspektive verurteilend, belehrend, mitfühlend, therapeutisch". Außerdem: „Die Leute im Osten blieben ein besprochenes, ein angesprochenes Volk. Im Status des Objekts der Geschichte, als Opfer einer oder zweier Systeme. Aber nicht als Reflektierende, als Urteilende - und nicht als Zeitgenossen. Dabei hatten sie dem Westen die Erfahrung einer Niederlage voraus".
Doch das ist nicht alles. „Mein Land will nicht verschwinden" zeigt auch, welche Erkenntnisse bleiben – und ernstgenommen werden sollten. Anfang November 1989 übte das Fernsehen der DDR Selbstkritik. Kurz vor der großen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November 1989 stößt man auf eine Szene, die in ihrer Aktualität an nichts eingebüßt hat und geradezu seherisch das aktuelle mediale Dilemma der digitalen Gesellschaft umreißt. Ein Team des Jugendmagazins „Elf 99“ überfällt da die Kollegen des Senders Freies Berlin mit der Frage nach der Pressefreiheit. „Wichtig ist, dass die Bürger das Gefühl haben, dass sie selbst in den Medien vorkommen. Ich glaube, das ist entscheidend“, sagt der Mann vom West-Sender. Und fügt nach einer kleinen Pause hinzu: „Ich denke, das ist der Grundsatz von Presse- und Meinungsfreiheit. Als Journalist muss man das hinterher einordnen, das gehört dazu. Doch wenn die Bürger das Gefühl haben, sie kommen nicht vor, weil es sozusagen nicht ihre Wirklichkeit ist, die da widergespiegelt wird – dann ist das ein Problem. Unser Problem genauso wie Ihres.“
Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer vielleicht, dass es gut ist, wenn so sperrig-poetische Filme wie der von Andreas Goldstein produziert und gezeigt werden.