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Filmkritik
Charles Dickens hat ganze Arbeit geleistet. Der Name Ebenezer Scrooge ist weltweit zum Synonym für eine abgrundtiefe Weihnachtsfeindlichkeit geworden; in einer entsprechenden Umfrage landete der Grinch weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Auch in „Mission Santa – Ein Elf rettet Weihnachten“ nennt sich die böse Weihnachtsgegnerin Cyber Scrooge und ruft schon mal „Bah, Humbug!“ aus, weshalb sich der kleine Elf Yoyo immens anstrengen muss, um ihr das Handwerk zu legen. Echte inhaltliche Bezüge zu „A Christmas Carol“ gibt es nicht, und auch auf die Kraft der Dickens’schen Erzählung hofft man vergebens.
Ho ho ho, tönt es auf der Toilette
Es beginnt mit Yoyos erstem Arbeitstag in der Werkstatt des Weihnachtsmannes. Der Elf verspricht sich viel davon, in die Fußstapfen seines Großvaters zu treten; genug Enthusiasmus und kindliche Fröhlichkeit bringt er jedenfalls mit. Aber auch am Nordpol hat die Gegenwart Einzug gehalten. Das Projekt „Weihnachten“ wird dort wie ein modernes Logistikunternehmen gemanagt, durchoptimiert und digitalisiert bis in die letzte Handlung hinein. Wenn irgendwo etwas nicht klappt, erkennt das die Projektleiterin Coco sofort auf ihrem Tablet.
Statt Elfen werkeln und wirken hier nur noch elektrische Logistikfachkräfte (E.L.F.), also Roboter; echte Elfen wie Yoyo arbeiten allenfalls noch im Callcenter. Für Freude, erklärt ihm Coco, habe sie keine Zeit. „Ho ho ho“, tönt es auf der Toilette. „Hände waschen nicht vergessen!“
Die fantastische Geschenkeproduktion zum Weihnachtsfest ist in dem Animationsfilm von Damjan Mitrevski und Ricard Cussó also techno-kapitalistisch ausgeformt. Damit steht „Mission Santa“ nach einem Drehbuch von Jamie Nash und Peter Johnston keineswegs allein. Schon „Arthur Weihnachtsmann“ (2011) entwarf vor mehr als einem Jahrzehnt einen ähnlich durchorganisierten Betrieb am Nordpol, der zudem noch militaristisch durchstrukturiert war; nur so lässt sich scheinbar eine wirklich zuverlässige Geschenkauslieferung gewährleisten.
Magische Schneekugeln & Rock’n’Roll-Santas
Solche erzählerischen Konstrukte dienen narrativ vor allem dazu, die Sehnsucht nach einer einfacheren Welt am Nordpol zu wecken. Es geht darum, die nostalgische Idee von der gemütlichen Elfenwerkstatt zu reaktivieren; die jungen Elfen oder die naiven Söhne des Weihnachtsmannes sollen sich wieder auf das Althergebrachte besinnen. Yoyo erledigt das zunächst dadurch, dass er durch zu viel Weihnachtsschmuck und Lichterketten die Prozesse im Logistikzentrum stört – und dann auch noch versehentlich den Stecker des zentralen Servers zieht. Ohne den Schutz einer Firewall aber kann Cyber Scrooge digital eindringen, die automatische Helferschar unter ihre Kontrolle bringen und damit drohen, die Datenbank mit den Namen der „lieben“ wie der „bösen“ Kinder zu löschen. Ihre Forderung: Liefert mir den Weihnachtsmann aus!
Das allerdings ist kaum möglich, denn der hat sich schon seit Jahren nicht mehr blicken lassen, nachdem der Laden quasi vollautomatisch läuft. Niemand weiß, wo sich der Weihnachtsmann gerade aufhält. Also machen sich Yoyo und Coco auf die Suche nach ihm, reisen mit magischen Schneekugeln durch die Welt, treffen eine Gang von Rock’n’Roll-Motorrad-Santas und müssen am Ende auch noch Cyber Scrooge davon überzeugen, dass Weihnachten gar nicht so furchtbar ist.
Nicht jeder Wunsch geht in Erfüllung
Sonderlich originell ist das alles nicht, abgesehen von ein paar hübschen Ideen, und zudem auch nur bedingt logisch. Die Animation verspricht keine Wunder, dafür gibt es wie in vielen Kinderfilmen ebenso unnötige wie ausführlich bekreischte Actionszenen. Interessant wird „Mission Santa“ allein durch seine Auflösung. Denn Cyber Scrooge hasst das Weihnachtsfest vor allem deshalb, weil ihr einst ein echter Herzenswunsch nicht erfüllt wurde und sie seither an einem Trauma leidet.
Doch auch der Weihnachtsmann kann nicht alle Wünsche erfüllen; insbesondere kann er keine sterbende Mutter gesund machen. Was die Weihnachtsmagie allerdings vermag, ist das: die schönen Erinnerungen an vergangene Feste zu bewahren, an jene Tage, als auch die Mutter noch lebte und die Welt noch in Ordnung war.
Auf diese Weise wird das aller religiösen Bedeutungen entkleidete Fest zum Höhepunkt des kindlichen Jahreskreises hochgejazzt, das für Erwachsene primär als Katalysator eines rückwärtsbezogenen Wohlfühlens dient. Weihnachten ist hier nur noch ein nostalgischer Kleister, mit dem Verluste und Traumata verarztet werden können, in seliger Erinnerung, aber ohne jede Weiterentwicklung. Das ist nicht nur platt und eindimensional, sondern geradezu reaktionär und bar jeder Hoffnung; Heilung verspricht nur noch der verklärende Blick zurück, nicht die Auseinandersetzung mit tiefsitzenden Ängsten und Traumatisierungen.
Mit Freunden & Schmerzen
Unterm Strich ist das schlicht furchtbar – und eine der gern genutzten Abkürzungen, die am Ende von Kinderfilmen eine scheinbare Lösung für komplexe Probleme bieten sollen. Dabei könnten Kinder durchaus mit der Erkenntnis umgehen, dass manche Schmerzen nicht so leicht wieder verschwinden und dass traurige Gefühle nicht nur einen Platz im Leben haben, sondern diesem erst zu seinem Wert und seiner Tiefe verhelfen. Wäre das nicht eine Botschaft für einen Weihnachtsfilm: dass all dies in einer Familie oder Gemeinschaft zum Fest der Liebe seinen Platz hat?
