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Mit der Faust in die Welt schlagen

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Philipp und Tobias wachsen in der Provinz Sachsens auf. Die Kindheit ist geprägt von der Perspektivlosigkeit in einer sonst sehr weiten Landschaft. Als Jahre später ihr Heimatort Flüchtlinge aufnehmen soll, eskaliert die Situation. Während sich der eine Bruder in sich selbst zurückzieht, sucht der andere ein Ventil für seine Wut. Und findet es.
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Zwei Brüder baden im Sommer in einem von Felsen und Bäumen umsäumten See. Sie klettern über große Steine, schwimmen, sind ausgelassen. Alles deutet auf eine unbeschwerte Kindheit hin. Auch dass das Licht im neuen Eigenheim nicht richtig funktioniert, wird von den Eltern und den beiden Jungen scherzend als lösbares Problem abgetan. Der neunjährige Tobi (Camille Moltzen) und sein zwölfjähriger Bruder Philipp (Anton Franke) wohnten mit „Mutti“ (Anja Schneider) und „Vati“ (Christian Näthe), wie sie sie nennen, bislang in einem vierstöckigen Plattenbau in der sächsischen Provinz. Doch nun beziehen sie das selbst gebaute Einfamilienhaus; und damit beginnen die Probleme. Weder Licht noch warmes Wasser funktionieren. Alles wirkt unfertig.

Uwe (Meinhard Neumann), ein Kollege des Vaters, hilft aus. Er kennt sich zwar mit der Elektrik aus, doch seine Bierfahne ist schon vormittags zu riechen. Außerdem munkelt man im Ort, dass er bei der Stasi gewesen sei. Bald wird Uwe von seiner Frau wegen Körperverletzung angeklagt, und kurz darauf ist Uwe tot – Selbstmord. Es ist, als würde Uwes Schicksal wie ein böses Omen auf die Familie abfärben. Der Vater wird arbeitslos. Seinen Job übe nun ein Pole aus, weil er billiger sei, sagt er. Beweise hat er keine. Dafür greift er zur Flasche, wird aggressiv, bleibt länger von zuhause fort und interessiert sich zunehmend für die Nachbarin.

Keiner kümmert sich um die Jungen

Die Mutter schiebt als Krankenschwester fortan Doppelschichten, um die Familie zu ernähren. Nachdem der Großvater gestorben ist, kümmert sich keiner mehr um die beiden Jungen. An der Schule gibt es Hakenkreuzschmierereien, im Bus werden Judenwitze erzählt, und die Jung-Nazis der Gegend fahren mit dem Auto über den Schulhof und recken dabei den rechten Arm. Philipp sucht zunehmend die Nähe der rechten Jugendlichen, von denen er sich ernst genommen fühlt und deren Zusammenhalt er schätzt. Dafür verbringt er deutlich weniger Zeit mit Tobi. Dieser fühlt sich allein gelassen und entlädt seinen Frust in immer häufigeren Schreikrämpfen. Die Familie Zschornack ist innerhalb eines Jahres auseinandergebrochen.

Das Spielfilmdebüt von Constanze Klaue basiert auf dem gleichnamigen Roman von Lukas Rietzschel, der am Schicksal einer Familie den gesellschaftlichen Wandel der Nachwendezeit in Ostsachsen schildert. Auch in dem Film werden die Umbrüche im Bundesland Sachsen mal direkt, mal indirekt transparent. Anfangs haftet dem Familienleben noch etwas Universelles an. Die Jungen und ihre Eltern bewegen sich viel in der Natur, fahren mit den Rädern durch Felder und Wälder und erleben einen fröhlichen Sommer. Eine bissige Bemerkung des Vaters gegen den polnischen Handwerker wird vom Nachbarn zunächst scherzhaft pariert. Doch langsam nehmen die Ressentiments zu. Für Missstände werden Schuldige gesucht. Richtig politisch wird es innerhalb der Familie allerdings nicht, denn private Spannungen gewinnen die Überhand.

Alle fallen in ein Loch

In anderen Zusammenhängen sind Sätze über das gute alte DDR-Werkzeug zu hören. Die westliche Vergeudung wird bemängelt und das Provokationspotenzial von rechten Symbolen getestet. Die vier Familienmitglieder fallen alle in ein Loch und versuchen es auf ihre Weise, mit ihren Erfahrungen zu stopfen. Anfängliche Erkundungen neuer Gefühle – Tobi verguckt sich in ein gleichaltriges Mädchen und klaut eine Kette für sie – weichen Ernüchterung und Langeweile. Philipp dagegen zieht es ganz aus der Familie fort. Bei einem „Streich“ der rechten Jugendlichen, bei dem er mitmacht, wird einer türkischen Familie ein Schweinekopf als Drohung vor die Tür gelegt.

Stilistisch fällt auf, dass die mitunter durchaus dramatischen Ereignisse eher beifällig inszeniert werden, manchmal auch durch Ellipsen. Trotzdem sind die steigenden Spannungen innerhalb der Familie und in der Schule deutlich zu spüren. Man wartet auf einen großen Knall, doch die Eskalation erfolgt schleichend. „Mit der Faust in die Welt schlagen“ gibt sich weder der Ostalgie noch bundesrepublikanischen Vorurteilen hin, sondern beobachtet Entwicklungen innerhalb und außerhalb der Familie organisch und aus der Sicht der Figuren. Dass sich Dinge wandeln, wird durch Zeitsprünge, veränderte Situationen und Dialoge klar. So spielt das letzte Viertel des Films plötzlich rund ein Jahrzehnt später, ohne dass sich die Trost- und Perspektivlosigkeit in dem sächsischen Ort verändert hätte. Der Frust ist sogar noch größer geworden und mündet für einen der Protagonisten in einer folgenschweren Tat.

Niemand wird dämonisiert

Mitunter drängt sich die intensive Musik der Band „PC Nackt“ zu sehr in den Vordergrund. Meistens aber schafft es der Film auf geradezu wundersame Weise, sich durch seine nicht wertende Erzählart zurückzunehmen und treffend von Arbeitslosigkeit, der Zerschlagung alter Strukturen, Enttäuschung und Radikalisierung zu erzählen. Dabei wird niemand dämonisiert: weder die mit dümmlichen Spielen operierende Lehrerin noch die Rechten oder der fremdgehende Ehemann.

Trotzdem formuliert „Mit der Faust in die Welt schlagen“ eine Haltung. Er macht auf die Probleme und Befindlichkeiten von Ostdeutschen aufmerksam und rückt die sonst allzu oft Ignorierten in den Vordergrund. Die Schauspieler wirken dabei genauso authentisch wie Szenenbild und Requisiten und erzählen von einer jüngeren Vergangenheit, die bis heute aktuell ist.

Veröffentlicht auf filmdienst.deMit der Faust in die Welt schlagenVon: Kira Taszman (23.5.2025)
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