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Filmkritik
Das Leben schreibt die schönsten Geschichten. Dieses Sprichwort findet in der französischen Familiensaga „Mit Liebe und Chansons“ eine augenscheinliche Bestätigung. Denn der Film des kanadischen Regisseurs Ken Scott beruht auf einem realen Fall. Die Vorlage für sein Drehbuch lieferte die 2021 veröffentlichte Autobiografie des Rechtsanwalts und bekannten Moderators Roland Perez. Darin beschreibt er, wie seine jüdische Mutter in Paris mit unerschöpflicher Energie dafür kämpft, dass ihr Sohn, der mit einem Klumpfuß zur Welt kam, trotz allem ein erfülltes Leben führen kann.
Der liebevoll ausgestattete Film beginnt und endet mit einer Szene, in der Roland Perez in mittlerem Alter am Tisch sitzt und seine außergewöhnliche Lebensgeschichte aufschreibt. Aus dem Off führt seine Stimme als Ich-Erzähler durch den Film und liefert Erläuterungen und Kommentare zum Geschehen. Beides vereint sich zu einer hübschen Hommage an den Autor, der im Film einen Kurzauftritt als Schulleiter absolviert.
Von Arzt zu Arzt
1963 wird Roland Perez, der in jungen Jahren von Naim Naji, Milo Machado-Graner und als Erwachsener von Jonathan Cohen verkörpert wird, als sechstes Kind einer jüdischen Familie geboren, die aus Marokko nach Paris emigriert ist. Roland leidet an einer Fehlbildung an einem Fuß. Als mehrere Operationen keine Besserung bringen, diagnostizieren die Ärzte, dass Roland nie normal gehen kann. Doch seine energische Mutter Esther (Leïla Bekhti) will nicht akzeptieren, dass er ein Leben lang unter einer Behinderung leiden soll. Sie verspricht dem Jungen, dass er am ersten Schultag wie alle anderen Kinder alleine zur Schule gehen wird. Auch sonst will sie dafür sorgen, dass er ein glücklicher Mensch wird.
Unermüdlich schleppt Esther den Jungen von Arzt zu Arzt, doch niemand kann ihm wirklich helfen. Als kleiner Junge rutscht Roland in der Wohnung auf dem Boden herum, wenn er in ein anderes Zimmer will. Esther betet jeden Tag zu Gott und glaubt fest an ein Wunder. Schließlich findet sie eine seltsame Heilerin, die Roland mit einem Stützkorsett und Halteschnüren monatelang im Bett ruhigstellt und den Fuß behandelt. Während dieser Zeit sieht Roland unaufhörlich fern und hört immerfort die Lieder der französischen Chansonsängerin Sylvie Vartan. Während die Dauerberieselung manchem Familienmitglied auf die Nerven geht, rückt Rolands Einschulung immer näher.
Der Sohn wird nicht gefragt
Sylvie Vartan, der Star der „Yéyé“-Generation, kommt in der Tragikomödie eine Schlüsselrolle zu. Ihre eingängigen Lieder sind nahezu allgegenwärtig und trösten den erstaunlich geduldigen Jungen über sein Handicap hinweg. Als Roland erwachsen ist und sich auf Drängen seiner Mutter als Theaterdarsteller und Journalist versucht, trifft er die Sängerin zu einem Interview. Jahre später, nach einem Jura-Studium, wird er schließlich ihr Anwalt. Die mittlerweile 81 Jahre alte Künstlerin spielt sich selbst und singt eine neue Version ihres Klassikers „Nicolas“.
In der ersten Hälfte entfaltet der Film eine heitere Komödienatmosphäre. Unaufhaltsam sorgt Esther mit ihrem Mutterinstinkt für komische Verwicklungen. Köstlich sind insbesondere die heftigen Zusammenstöße mit einer Frau vom Sozialamt, die darauf hinweist, dass in Frankreich auch für behinderte Kinder die Schulpflicht besteht und dass Roland Lesen lernen muss. Ähnliches gilt, wenn die temperamentvolle Mutter den Jungen zuerst zum Ballett schickt und dann zur Bühne, und ihn schließlich am Gymnasium und fürs Studium anmeldet, ohne ihn oder ihren Ehemann zu fragen.
Das Blatt wendet sich jedoch, als Roland sich in seine Studienkollegin Litzie (Joséphine Japy) verliebt; die Inszenierung dreht in der zweiten Hälfte ins Melodramatische. Esther mischt sich zunehmend in sein – auch berufliches – Leben ein und hält ihn so davon ab, eigene Entscheidungen zu treffen. Der gutmütige Sohn, der inzwischen ein erfolgreicher Anwalt und dreifacher Familienvater ist, versucht lange, sich mit Kompromissen durchzulavieren. Doch irgendwann sind auch für ihn die Grenzen des Zumutbaren erreicht.
Ein doppelter Befreiungsprozess
Ken Scott, der sich von den eleganten Komödien Billy Wilders inspirieren ließ, skizziert in „Mit Liebe und Chansons“ einen doppelten Befreiungsprozess. Zunächst versucht die Mutter, ihren Sohn von der Behinderung zu erlösen, und dann will der Sohn seine allzu dominante Mutter loswerden. Trotz der unumgänglichen Emanzipation von der manipulativen Mutter bleibt dennoch klar: Die Liebe zwischen den beiden ist unzerstörbar. Das bringt der reale Roland Perez am Ende auch mit einem literarischen Zitat auf den Punkt: „Da Gott nicht überall sein kann, musste er eben die Mutter erfinden.“
Die über ein halbes Jahrhundert hinweg erzählte Tragikomödie wird vor allem von Leïla Bekhti getragen, die als Übermutter zu Höchstform aufläuft. Das gilt nicht nur für die Gefühlsausbrüche und Interventionen in Rolands Kindheit, sondern fast mehr noch für die Eskapaden, die sich Esther gegenüber dem erwachsenen Roland leistet. Mit dieser Energieleistung kann Jonathan Cohen als duldsamer Sprössling nicht mithalten, auch wenn er der sanften Figur eine Menge Charme verleiht.





