






- Veröffentlichung11.09.2025
- RegieAmanda Kim
- ProduktionVereinigte Staaten (2023)
- Dauer109 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 12
- IMDb Rating6.9/10 (275) Stimmen
Cast
Vorstellungen










Filmkritik
„Ha-ha-haha-ha-ha-hahaaaa“. Der koreanische Künstler Nam June Paik (1932-2006) steht mit leuchtenden Augen vor einem Fernseher. Er spricht, singt und hustet in ein Mikrofon, während auf dem Bildschirm eine farbige Linie, die wie ein Möbiusband verschlungen ist, je nach Tonhöhe und Intervall ihre Gestalt wandelt. Für Paik, der unter anderem bei Karlheinz Stockhausen als Komponist ausgebildet wurde, ist das Gegenüber nie statisch, sondern ein Element der Gestaltung, egal ob Monitor, Cello, Fernsehbild, Live-Fernsehsendung oder Krawatte. Bei der Performance „Etude for Pianoforte“ (1960) im Atelier von Mary Bauermeister in Köln demolierte Paik ein Klavier, bevor er von der Bühne ins Publikum sprang und den Schlips seines Freunds und Mentors John Cage mit einer Schere abschnitt und ihm die Haare shampoonierte.
Charisma und Schalk
Als Protagonist eines Dokumentarfilms ist der Pionier der Video- und Medienkunst Nam June Paik eine dankbare Figur. Er besaß Charisma und Schalk, sprach viele Sprachen im Kauderwelsch und vor allem „Paikisch“ (Wulf Herzogenrath), und er verstand es, mit seinen Aktionen und Auftritten einen stets fröhlichen Wirbel zu verursachen. Von Paiks Erfindungsreichtum zeugen zahlreiche Dokumente: Fotos, Archivaufnahmen, Interviews, Fernsehauftritte, aber auch Erzählungen. Es sei unterhaltsamer, sich an „Etude for Pianoforte“ zu erinnern, als tatsächlich dabei gewesen zu sein, so Cage.
Die koreanisch-US-amerikanische Regisseurin Amanda Kim lässt sich in ihrem Dokumentarfilm von Paiks Agilität anstecken. „Nam June Paik: Moon is The Oldest TV“ ist ein äußerst quirliger Film, temporeich und überbordend. Die Erzählung ist dennoch klassisch linear; auch verzichtet der Film nicht auf die in Künstlerdokumentationen übliche Zitat-Collage aus Superlativen. Paiks Werdegang wird chronologisch nachgezeichnet, von der Kindheit und Jugend im von Japan besetzten Korea, über das Studium in München, Freiburg und Köln, wo er mit Karlheinz Stockhausen im Studio für elektronische Musik des WDR arbeitete, über seine Fluxus-Zeit und die Jahre in New York bis hin zu den ersten institutionellen Ausstellungen und den letzten Lebensjahren. Neben zahlreichen Weggefährten, Kuratorinnen und Künstlerkolleg:innen gibt auch Paik selbst Auskunft – der südkoreanisch-US-amerikanische Schauspieler Steven Yeun liest Auszüge aus seinen Schriften.
Die Begegnung mit John Cage im Jahr 1958 war für Paik eine Zäsur, mehr noch: der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Fortan sprach er von „BC“ und „AC“ („before“ beziehungsweise „after Cage“). Cages Überlegungen zur Unbestimmtheit in der Musik und das dahinterliegende Konzept kreativer Freiheit inspirierten ihn zu seinen dadaistisch-anarchischen Performances.
Geburtsstunde der Medienkunst
Seine erste Einzelausstellung, „Exposition of Music – Electronic Television“ 1963 in der legendären Galerie Parnass in Wuppertal gilt als „Geburtsstunde der Medienkunst“. Bereits der Titel markierte den Übergang von der Musik zum elektronischen Bild. Zum Einsatz kamen vier präparierte Klaviere, mechanische Klangobjekte, mehrere Schallplatten- und Tonbandinstallationen, zwölf modifizierte Fernsehgeräte und ein frisch geschlachteter Ochsenkopf, der über dem Eingang hing.
1964 siedelte Paik in die „Kommunikationshauptstadt“ New York über. Eine Performance mit der Cellistin Charlotte Moorman, mit der Paik die berühmten „TV Bras“ entwickelte und über Jahre künstlerisch zusammenarbeitete, endete mit einer Verhaftung. In den Augen seiner Familie, die er nach seinem Weggang nie wieder sah, galt er als Schande. Der Film lässt auch den Rassismus der westlichen Gesellschaft nicht unerwähnt, ebenso wie Paiks bittere Armut in den ersten Jahren in New York.
Visionäre Videoarbeiten
Paiks Videoarbeiten gelten als visionär. Er entdeckte den Mond im Fernseher und arbeitete als einer der ersten mit der Portapak, eine Videokassetten-Kamera. 1969 entwickelte er gemeinsam mit dem japanischen Ingenieur Shuya Abe den sogenannten „Paik-Abe-Video Synthesizer“, ein Gerät, das Signale von Videokameras und -bändern verfremden, verzerren, überlagern und einfärben konnte. Mit dem experimentellen Video „Global Groove“ (1973), das Paik für den amerikanischen Fernsehsender WNET produzierte, nahm der Künstler die mediale Vernetzung der Welt vorweg. Ein Jahr später entstand seine ikonischste Arbeit, „Buddha TV“. Eine Buddha-Statue sitzt vor einem Monitor und betrachtet ihr Abbild, das zeitgleich von einer Kamera aufgenommen wird.
Dem Diktat der Algorithmen zu folgen und sich von den Endlosschleifen sozialer Netzwerke berieseln zu lassen, wäre für Paik undenkbar gewesen. Er war ein Erfinder und Kommunikator, der die Menschen zu Kreativität und Partizipation bewegen wollte. Zeit seines Lebens arbeitete er an Möglichkeiten, Technologien auf eine lebendigere, menschlichere Art zu denken und zu gestalten. Denn, so Paik: „Jeder Tag ist für mich ein Kommunikationsproblem.“