- RegieChristian Ferencz-Flatz, Radu Jude
- GenreDokumentarfilm
- Cast
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Filmkritik
Die Historie ist eine Sonne, die den direkten Blick erblinden lässt; Radu Jude gebraucht Filme als Prismen, die solche Strahlen in bunte Spektralfarben splittern. Immerzu sucht der rumänische Regisseur nach neuen Möglichkeiten, illusorisches Blendwerk aufzubrechen und die ganzheitliche Macht ins Kaleidoskopische zu zerstreuen.
Werbung als utopischer Arm des Kapitalismus
Gemeinsam mit dem Philosophen Christian Ferencz-Flatz zeigt er in dem Essay-Film „Eight Postcards from Utopia“ das postkommunistische Rumänien im Spiegel des Werbefernsehens. Wenn die Gesellschaft bei Marx eine „ungeheure Warensammlung“ und bei Guy Debord eine „ungeheure Ansammlung von Spektakeln“ ist, präsentiert er den exakten Schnittpunkt beider Perspektiven. Anhand von Werbespots aus den 1980er-Jahren bis hin zu zeitgenössischen Clips zeigt er den Übergang von Kommunismus zu Kapitalismus, von Plan- zu Privatwirtschaft. Dabei präsentiert das Duo die Werbung als utopischen Arm des Kapitalismus, der den Status quo mit einer erschwinglichen Gegenwelt kontrastiert, nicht weniger idealisiert als die glücklichen Bauern und Soldaten des Sozialistischen Realismus.
Radu Jude erstellte zuletzt oft essayistische Super-Cuts. „The Exit of the Trains“ zeigt das Pogrom an den Juden der Stadt Iași im Jahr 1941 als Sammlung von Fotos und Dokumenten. „Bad Luck Banging or Loony Porn“ verwandelt Archivmaterial in ein „Kurzes Wörterbuch der Anekdoten, Zeichen und Wunder“, „Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt“ arrangierte stille Aufnahmen von Unfallkreuzen zu einer verlängerten Schweigeminute. In Interviews schwärmte der Regisseur immer wieder von dem chinesischen Videoportal TikTok, etwa gegenüber „Variety“: „Filmemacher haben ein Problem, weil uns das voraus ist. Wer es ernst meint mit dem Filmemachen, muss auch TikTok ernst nehmen.“
„Mach dich bereit, reich zu sein“
Der erratischen Logik des Algorithmus nähert sich die Montage von „Eight Postcards from Utopia“ nur selten an. Acht Kapitel und ein Epilog ordnen die Werbespots für Firmen wie Pepsi, Gillette oder TicTac, aber auch für Kampagnen gegen Schmiergeld oder für das rumänische Militär zumindest thematisch. Das erste Kapitel etwa spiegelt die Geschichte Rumäniens in der Werbewelt und verdeutlicht, wie Tradition und Nationalmythos zu einer Ware unter vielen werden. Das zweite zeigt ein neues Verhältnis zu Geld in der Zeit nach dem Kommunismus. Der Wohlstand soll endlich wachsen: „Wir streben alle danach, ihr Geld zu vermehren“, wiederholt ein Werbesprecher in Outtakes immer wieder, bis es nicht mehr ganz so nach Trickbetrug klingt. „Mach dich bereit, reich zu sein“, heißt es an anderer Stelle. Als wäre es Schicksal.
Kapitel 3 erzählt von der „technologischen Revolution“ und zeigt eine klinisch saubere, weiße Zukunft, wie aus Kubricks „2001“, in der Dosenwürstchen genauso Ausdruck einer besseren Welt sind wie die Raumfahrt. Tausend kleine Utopien, die man sich hoffentlich leisten kann.
Technologie & Magie
Kapitel 4 („Magisches Trugbild“) etabliert eine Beziehung zwischen Produkt und Mythenwelt. Die neue Unterhaltungselektronik tritt, ganz dem dritten Clark’schen Gesetz entsprechend, als Magie in die Leben der Menschen. Mithilfe von damals neuen Techniken wie Morphing-Effekten und CGI erwachen Konsumgüter zum Leben, so wird etwa mit Reinigungswerkzeugen der Firma Perind Goethes „Zauberlehrling“ nachgestellt. Ein Leben zwischen Verdinglichung und Animismus, überall tanzende Getränkedosen und Bonbons.
So entsteht also Abschnitt um Abschnitt eine geordnete Unordnung. So wie auch kurze Listen laut Umberto Eco immer auf die Unendlichkeit verweisen, deutet die Struktur von Jude und Ferencz-Flatz in Richtung Chaos, Überschwang und algorithmischer Willkür. Werbung heißt, sich entscheidungslos den Übersprungs-Bewegungen der Warenwelt auszuliefern. Ein sedierender Autopilot reiht Spot an Spot. Das gilt auch für Radu Judes heißgeliebtes TikTok, in dem die Werbeclips sich immer als regulärer „Content“ camouflieren und oft nur durch Einblendungen wie „Anzeige“ am unteren Bildrand als solche zu identifizieren sind – die Montage des Films sucht also auch das Gegenwärtige der Vergangenheit.
Das Irrationale der Wirtschaftsordnung
Die Idee, Zeitgeist und vorherrschende Ideologie aus Werbung abzuleiten, ist natürlich nicht neu. Harun Farocki zeigte etwa bereits 1993 in „Ein Tag im Leben der Endverbraucher“, wie der Markt für jeden Augenblick unseres Lebens das richtige Produkt anbietet, und setzte Werbeclips aus 40 Jahren bundesdeutscher Geschichte zu 24 Stunden voll von Konsum zusammen. Manche Thesen über Werbung aus dem Essayfilm fühlen sich dann auch etwas altbacken an. Kapitel 8 etwa („Maskulin Feminin“) zeigt auf, dass die Spots regressive Geschlechterbilder vermitteln, dass Frauen als Objekt und Männer als Subjekt auftreten. Alten Menschen verspricht das Fernsehen Teilhabe an der Jugend („Schwedenbitter, das Elixier der Jugend“), den Kindern eine „Emanzipation“, die natürlich auch wieder nur im Konsum besteht.
Diese konsumkritische Haltung ist leider der trivialste Aspekt des Films und riecht leicht muffig nach alten „Adbusters“-Kampagnen oder Naomi Kleins Anti-Globalisierungs-Bibel „No Logo“. Interessanter ist die Suche nach der Irrationalität einer Wirtschaftsordnung, die immer als pragmatischer Kompromiss verstanden wurde, als post-ideologisches „Ende der Geschichte“. Oder die Erforschung der Poesie des Vulgären in den Kapiteln 6 und 7. Denn je stärker das ursprüngliche Material verfremdet wird, desto interessanter ist auch der Film. Über die Laufzeit hinweg werden die Clips immer stärker dekontextualisiert, manchmal sogar in Zeitlupe abgespielt oder ohne Ton. Unter „Gefundene Poesie“ werden die ungewöhnlichen Rhythmen und Sprachmelodien, die Wiederholungen und Aufzählungen der bunten Reklame gesammelt. Steckt irgendwo zwischen den Angeboten eine verborgene Schönheit?
Daseinsplacebo
Oder doch nur ein Daseinsplacebo, ein verblassendes Bild, wie aus einer fast leeren Druckerpatrone? „Die Anatomie des Konsums“ versammelt einen Katalog der Gesten, mit denen die Werbemenschen mit denen vor dem Fernseher kommunizieren. Ohne Ton, oft verlangsamt. Alles scheint so einverstanden und gleichförmig. Ist das die neue Freiheit, die neue Individualität? Ein Heer von Menschen, die mit immergleichen Bewegungen etwas bestellen, mit uniformem Blick ihre kleinen Freuden genießen, als Echo von früheren Menschen lieben und nach dem guten Leben so greifen, wie Arbeiter am Fließband nach den Einzelteilen eines Produkts. Ein Produkt obendrein, das sie sich erst leisten können, wenn es Teil einer Vergangenheit geworden ist, zu der sie dann auch gehören.