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Filmkritik
Ein gigantisches Ungeheuer verfolgt einen Bus. Sein Gebrüll ist markerschütternd. Die Fahrerin sieht im Rückspiegel die tödlichen Klauen näherkommen. Als der Wagen von der Straße abkommt, versucht das Monstrum, durch die Dachluke einzudringen, um die Kinder im Inneren zu verspeisen. Es könnte eine Szene aus „Jurassic Park“ sein, doch statt eines T-Rex ist die Bestie in „Sketch“ ein riesiger Farbkleks mit Kulleraugen, der Glitter spuckt. Die Handschrift in Seth Worleys Coming-of-Age-Geschichte ist die des Genrekinos: Es gibt verstörendes Sound-Design, Jumpscares, Fakeouts und natürlich jede Menge Monster. Nur Blut ist selten zu sehen, und Morde finden ausschließlich in der Fantasie statt. Von diesen Konzessionen abgesehen, ist „Sketch“ eine waschechte Horrorkomödie – aber eine für Kinder und Jugendliche.
Monster-Skizzen und ein magischer Tisch
Amber (Bianca Belle) und ihr Bruder Jack (Kue Lawrence) haben vor Kurzem ihre Mutter verloren. Während ihr Vater alles versucht, um die Normalität zu wahren, verarbeiten die Kinder ihre Trauer höchst unterschiedlich. Amber zeichnet in ein Skizzenheft Bilder von blutrünstigen Ungeheuern, die ihre Mitschüler massakrieren, während Jack einen mystischen Teich entdeckt, mit dessen Zauberkräften er versuchen will, seine Mutter zurückzuholen. Als Ambers Heft versehentlich im Wasser landet, werden die Kreaturen aus ihrer Fantasie zum Leben erweckt und auf die Welt losgelassen.
Obwohl sich der Film Zeit nimmt, um ernstere Momente auszuspielen und Spannung aufzubauen, steht der Spaß bei dieser skurrilen Prämisse klar im Vordergrund. Die Geschichte darüber, wie wir nach Verlusterfahrungen unsere eigenen Monster erschaffen, weiß genau, wann sie ernste Töne anschlagen darf und wann mit Wasserpistolen auf Tintenmonster geschossen werden muss. Die Dynamik der Figuren, die von einer kuriosen Situation in die nächste stolpern, und die temporeichen Dialoge sorgen für viele Lacher und gleichen sowohl die tragischen als auch die gruseligen Momente gekonnt aus.
Die heimlichen Stars sind natürlich Ambers Kunstwerke, die ab der zweiten Hälfte des Films Amok laufen. Als sie ihrem Vater im Schnelldurchlauf alle Kreaturen erklärt, wie sie stechen, beißen und kratzen, wächst im Publikum eine große Vorfreude heran: All diese Wesen werden bald über die Leinwand wüten, und man kann es kaum erwarten, sie in Aktion zu sehen.
Evolution eines Kurzfilms
Dem Spielfilm von Seth Worley ging der wesentlich ernstere Kurzfilm „Darker Colors“ voraus, der im Wesentlichen eine reduzierte Version des großen Finales von „Sketch“ ist. Die Vision, die im Endeffekt auf der Leinwand landete, entstand in Zusammenarbeit mit Angel Studios – einer Produktionsfirma, die sich derart offensiv in den Film einbringt, dass es an dieser Stelle erwähnt werden muss. Sowohl im Vor- als auch im Abspann sind prominente Texttafeln eingebracht, deren Formulierung irgendwo zwischen Missionierung und Crowdfunding schwankt. Das religiös ausgerichtete Studio konnte mit solchen Aufrufen bei seinen letzten Produktionen vor allem im rechtskonservativen Amerika große Erfolge verbuchen. Der Abspann wird zusätzlich durch einen Werbespot für eine App unterbrochen, und danach bleibt ein QR-Code auf der Leinwand, der darum bettelt, dass die Leute ihre Smartphones rausholen, um ihn abzuscannen. Eine unangenehm uncineastische Erfahrung – insbesondere für einen Film, der immer wieder darum bittet, ihn im Kino zu schauen.
Diesen seltsamen Geschäftstaktiken zum Trotz bemerkt man in „Sketch“ selbst zum Glück keine ideologische Einflussnahme. Laut Seth Worley bestand der einzige Einfluss der Produktionsfirma darin, einige „Gotteslästerungen“ aus dem Dialog zu streichen, und er bemühte sich, die Geschichte generell familientauglicher zu machen. Diese Entscheidung trägt tatsächlich zum Charme des Werkes bei, das seine finsteren Wurzeln nicht vergessen hat, sie aber in eine Form gießen konnte, die auch für jüngeres Publikum bekömmlich ist.
Nicht perfekt, aber erfrischend
Wer ältere Geschwister hat, kennt vielleicht die Situation: Man ist zu jung für einen Film, aber der große Bruder oder die große Schwester hat ihn gesehen und kann ihn farbenfroh nacherzählen. Im Kopfkino bildet sich eine neue Version, die Versatzstücke aus der Handlung mit Trailern, Szenenbildern und der eigenen Vorstellungskraft ergänzt. „Sketch“ fühlt sich an wie ein solcher Fantasiefilm – nur dass es ihn wirklich gibt. Sowohl stilistisch als auch inhaltlich ist er nicht so poliert wie andere Produktionen und besitzt eine Menge Ecken und Kanten, an denen sich insbesondere Eltern stoßen könnten: Es wird gezeigt, wie cool es ist, aus einer Spraydose und einem Feuerzeug einen Flammenwerfer zu bauen, und in gewisser Weise behauptet, dass jugendliche Gewaltfantasien etwas Konstruktives seien.
Hinzu kommt, dass einige der Horrorelemente einfach zu gruselig für den Nachwuchs sein können. Doch genau diese kleinen Risiken, die sich beinahe verboten anfühlen, können für junges Publikum interessant und herausfordernd sein. Statt des üblichen Familienkinos, das häufig darauf bedacht ist, möglichst für alle bekömmlich zu sein, findet „Sketch“ in vielen erzählerischen Grauzonen eine ganz eigene Farbpalette. Es entsteht ein unkonventioneller Mix, der mit kindlicher Freude seine Einflüsse zusammenpantscht, ohne sie zu verwässern. Für Jugendliche im richtigen Alter bietet „Sketch“ ein Filmerlebnis voller Kreativität, Spannung und Humor, das auf komplizierte Fragen nicht immer einfache Antworten bietet.