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Solidarity

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Solidarität ist eines der wertvollsten Prinzipien menschlicher Gemeinschaften – und zugleich ein zutiefst kümmern, aber sie kann sich auch in eine Kraft der Ausgrenzung oder gar in einen Aufruf zu bestialischer Gewalt verwandeln.
Die Protagonist:innen dieses Films sind Profis in der solidarischen Arbeit. Sie sind keine First Responder, sondern Menschen, die tief im humanitären System der „globalen Solidarität“ arbeiten. Sie agieren auf unterschiedlichen Ebenen, in regionalen Graswurzelstrukturen bis in den höchsten Ebenen der Vereinten Nationen: Eine Menschenrechtsaktivistin und eine Migrationsberaterin in Polen, Vertreter:innen des UNHCR (Flüchtlingshilfswerk der UNO) in Genf, sowie ein Philosoph in Beirut zeigen uns die hellen wie die dunklen Seiten der Solidarität. Der Film führt uns von der Migrationskrise an der belarussisch-polnischen Grenze über die Fluchtbewegung aus der Ukraine direkt nach der russischen Invasion schließlich in den Solidaritätsclash im Nahen Osten, wo die humanitären Menschenrechte ins Wanken geraten sind.
  • Veröffentlichung25.09.2025
  • David Bernet
  • Deutschland (2025)
  • 90 Minuten
  • Dokumentation
  • FSK 12
FoolsKINO
Marktplatz 18a
83607 Holzkirchen
Meisengeige
Am Laufer Schlagturm 3
90403 Nürnberg

Wenn man sich mit der Etymologie des Wortes „Solidarität“ beschäftigt, entdeckt man, dass sich die Bedeutung des Wortes im Laufe der Zeit gewandelt hat. Der lateinische Begriff „solidus“ bezeichnet etwas Gediegenes, Festes. Schon zu römischen Zeiten erhielt das Wort eine juristische Konnotation. Die „solidarische Schuld“ bezeichnete eine kollektive Haftung. Erst im 19. Jahrhundert nahm das Wort die heutige Bedeutung von Zusammenhalt, Zugehörigkeit und gemeinsamen Interessen an. Diese Bedeutungsnuancen spiegeln auch die Widersprüchlichkeit des Wortes Solidarität. Denn während es einerseits als Auslöser für gute Taten dient, kann es auch in Parteilichkeit oder Fanatismus ausarten.

Konkrete Not, abstrakte Zumutung

Der Schweizer Regisseur David Bernet überprüft das Wort in seinem Dokumentarfilm „Solidarity“ anhand realer Krisen. Der Film beginnt mit zwei Jungen in der libanesischen Stadt Tyros, die auf einem Hügel liegt. Hinter ihr erstreckt sich ein Flüchtlingslager aus weißen Zelten. Dort leben syrische Familien, mitunter schon seit zehn Jahren. Sie werden notdürftig beherbergt und verpflegt, dürfen jedoch nicht arbeiten und stecken in Stagnation, Frust und Perspektivlosigkeit fest.

Der Regisseur, der im Off auch als Erzähler fungiert, sinniert auch über die Greifbarkeit von Solidarität. Als er einen Krankenwagen sieht, freut er sich über die Unmittelbarkeit geleisteter Hilfe. Doch reicht unsere Solidarität auch dann noch, wenn die Not größer und lauter wird?

In Polen stellt Bernet zwei Fluchtbewegungen einander gegenüber. Menschen, die über Belarus aus Ländern wie Syrien, dem Irak oder Afghanistan fliehen, werden an der Grenze von Armee und Polizei abgewiesen. Die Menschenrechtsaktivistin Marta Siciarek besucht die Gräber muslimischer Flüchtlinge, die an der Grenze ums Leben gekommen sind. Einige Monate später bricht während der Dreharbeiten der von Russland begonnene Ukraine-Krieg aus. Flüchtlinge aus der Ukraine werden nun nicht nur ins Land gelassen, sondern lösen eine ungeahnte Welle der Solidarität aus. Freiwillige helfen, die ukrainischen Kriegsflüchtlinge zu beherbergen und zu verpflegen und ergänzen so ein staatliches System, das auf eine so krasse Welle von Flüchtlingen nicht vorbereitet ist.

Weltweit sind 110 Millionen auf der Flucht

Warum empfinden Menschen in Europa mehr Solidarität mit Notleidenden, die aus Nachbarländern oder ähnlichen Kulturen kommen als mit Flüchtlingen aus Afrika oder dem Mittleren Osten? Die (zu Drehzeiten) stellvertretende UN-Hochkommissarin Gillian Triggs stellt diese Frage und bringt sie mit Mentalitäten und limitierten Kapazitäten in Verbindung. Sitzungen von UN-Organisationen, in denen über internationale Lösungen der Flüchtlingskrisen debattiert wird, wechseln mit Bildern tatsächlicher Notleidender ab. Doch Triggs oder der Hohe Flüchtlingskommissar der UN, Filippo Grandi, ergründen auch die Lage vor Ort, sprechen mit Abgeordneten, mit humanitären Organisationen und den Flüchtlingen selbst. Krisenbedingte Migration ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einem immer dramatischeren Problem geworden. Gegenwärtig befinden sich weltweit etwa 110 Millionen Menschen auf der Flucht.

Bilder vom Krieg in Nahost oder der Ukraine alternieren mit Aufnahmen von Sporthallen voller Feldbetten, die für ukrainische Flüchtlinge in Polen vorbereitet werden. Die Ursachen von Krisen und deren Folgen werden auf diese Weise deutlich; mittendrin die Betroffenen, über deren Schicksal oft der Zufall oder fehlende finanzielle Mittel entscheiden.

Die Grenzen der Solidarität

Manches in „Solidarity“ wirkt allerdings schwammig und nicht genügend eingeordnet. So werden die Urheber der Bilder nicht immer genannt, weshalb man nicht immer weiß, in welchem Land man sich gerade befindet. Dennoch polarisiert der Film nicht und bemüht sich um Ausgewogenheit. Dabei verliert er vor allem seine Fragestellung, was Solidarität eigentlich ist, nicht aus den Augen. Der libanesische Philosoph Bashshar Haydar reflektiert über die Mechanismen der Solidarität, aber auch über ihre Auswüchse. In Haydars Augen ist Solidarität selektiv und könne Spaltungen vertiefen. Das verdeutlichen Bilder von „propalästinensischen“ und „proisraelischen“ Kundgebungen, die mitunter in verbalen und physischen Auseinandersetzungen gipfeln. Der Film stellt damit auch die Frage, ob Solidarität gegenüber der eigenen Grausamkeit blind machen kann?

Dass wohlmeinende und aktiv helfende Mitarbeiter von humanitären Organisationen in Krisengebieten selbst zu Zielscheiben werden, zeigt der Film ebenso, wie er über die Schattenseiten der Solidarität nachdenkt. Solidarität sei eine Entscheidung; man will das Gute und fördere dabei bisweilen das Gegenteil, sagt Filippo Grandi. Je geschlossener eine Solidargemeinschaft sei, desto gefährlicher könne sie für den Rest der Welt werden, schlussfolgert der Film. Der Solidarität müsse neues Leben eingehaucht werden, lautet hingegen die Forderung mancher Entscheidungsträger. Denn es geht um das Leben realer Menschen, denen mit den ideologischen Grabenkämpfen von Aktivisten nur selten geholfen ist.

Veröffentlicht auf filmdienst.deSolidarityVon: Kira Taszman (22.9.2025)
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