





- RegieJan Becker
- ProduktionDeutschland (2025)
- Dauer120 Minuten
- GenreDokumentarfilmMusik
- Cast
Vorstellungen





Filmkritik
„Ich liebe die Träumer, die Aufbruchsgeister / Die überall Samen erkennen / Die Fehlschläge nicht zu ernst nehmen / Und immer das Gute benennen / Nicht die, die die Zukunft auswendig kennen / Begeisterung als Naivität anschauen / Und dir ihre altbekannten Ängste / Als Ratschläge verpackt um die Ohren hauen“. Das ist die erste Strophe des Songs „Wann strahlst du?“, der sich durch viel Airplay und Mundpropaganda und nicht zuletzt durch ein mit Archivmaterial bestücktes Musikvideo seit 2007 zu einem regelrechten Hit entwickelt hat. Der Text stammt von Barbara Stützel, die stilvoll-funky Musik von Carsten „Erobique“ Meyer. Das Ganze funktionierte vielleicht deshalb so perfekt, weil man sich leicht vorstellen kann, dass es sich dabei über einen übersehenen Track von Hildegard Knef handeln könnte.
Keine Angst vor Pathos oder Kitsch
„Songs for Joy“ war in der Spielzeit 2006/2007 ein Workshop-Projekt am Maxim-Gorki-Theater in Berlin. Meyer und Jacques „Giacometti“ Palminger hatten dazu aufgerufen, sie mit Texten zu beliefern, die dann zu ganz unterschiedlichen Songs vertont wurden. Mal Chanson, mal Jazz, mal Schlager oder Country, alles ohne Angst vor Pathos und Kitsch.
2024 kam es zu einer Neuauflage des Projekts am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Ergänzt wurde es durch die Einrichtung eines mobilen Tonstudios in der säkularisierten Immanuelkirche im Hamburger Stadtteil Veddel, eine Art von offenem Haus, wo man „einfach so“ vorbeikommen, zuschauen und mitwirken konnte. Die Immanuelkirche ist ein soziales Stadtteilzentrum und (auch) eine Spielstätte des Deutschen Schauspielhauses. Aus den mehr als 200 eingesandten Texten entstanden schließlich 18 Songs.
Quer zum Zeitgeist
„Songs for Joy“ steht erklärtermaßen quer zum Zeitgeist. Das Unterfangen ist eine Hymne aufs gemeinsame Produzieren, auf Austausch und Dialog, Neugier und Empathie. Enthusiasmus geht vor Casting-gestählter Perfektion. Oder wie Meyer das ausdrückt: „Ich bin schließlich zu den Punks gegangen, weil ich machen wollte. Hätte ich üben wollen, hätte ich auch zu den Jazzern gehen können!“
Das Niedrigschwellige des Projektes sollte man als Moment des Gelingens dabei nicht unterschätzen. Eine türkische Nachbarin, die seit vielen Jahren nur für sich schreibt, öffnet ihr Notizbuch und steuert, unterstützt von ihren Töchtern, einen Text bei. Der syrische Oud-Spieler Yasser Al Juhne findet sich ein, und auch die junge Szeneband „Feigen Flittchen“ ist mit von der Partie. Den Traum von einem Kinderchor lösen Schüler und Schülerinnen von der benachbarten Schule ein. Überall wird hier geprobt, musiziert und kommuniziert. Mittendrin Carsten Meyer und Jacques Palminger sowie eine Kernband um Peta Devlin, Chris Dietermann und Mario Hänni. Meyer beschreibt die Stimmung in der Immanuelkirche euphorisch als „ein Fest der Liebe“.
Nach den Proben verlängerte sich dieses Fest in den ausverkauften Saal des Deutschen Schauspielhauses, wo das, was im Entstehen zu sehen und hören war, sich nun in ganzer Pracht mit- und hinreißend entfaltete. Höhepunkte gibt es viele – und diese sind so divers wie nötig. Sei es die stilsichere Soul-Performance von Carsten Schnathorst („Freiheit“), sei es „Noch ist es Sommer“ vom Kinderchor, New Wave („In der Enge meiner Zwänge“) oder Disco („Discoroller“).
Am Ende passiert fast eine Katastrophe, wenn Yvon Jansen, die Interpretin von „Wann strahlst du?“, die Bühne am falschen Ort verlässt, sich aber zum Glück nicht schlimm verletzt. Und natürlich eine Zugabe, denn, wie Jacques Palminger anmerkt: „Wir sind ja nicht blöd!“
Gegen „Doomscrolling depression“
Man kann das Konzept von Gemeinschaft, das „Songs For Joy“ befeuert, für naiv und blauäugig halten, doch im Moment des Gelingens, wie es der Film von Jan Becker so glücklich dokumentiert, könnte man auch fordern, dass es den Kinobesuch auf Krankenschein geben sollte. Gegen „Doomscrolling depression“.
