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The Kingdom - Die Zeit die zählt

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Die Geschichte spielt in einer alternativen Version der Philippinen in der Gegenwart, in der die Inseln nie kolonisiert wurden. Im Königreich Kalayaan wird das Lieblingskind des Herrschers entführt – eine gescheiterte Rettungsmission und ein tödliches Duell folgen.

Leider gibt es keine Kinos.

An einem Baum hängt kopfüber ein frisch erlegtes Wildschwein. Im Kreis der Männer stößt Lesia (Ghjuvanna Benedetti) das Messer ins Fleisch und holt die Eingeweide heraus. Blut spritzt auf ihr Gesicht. Sie erntet anerkennendes Schulterklopfen; einer der Männer küsst ihr die Stirn. Die Jagd ist in „Kingdom“ von Julien Colonna mehr als ein martialisches Ritual. Sie ist existenziell und symbolisch. Lesia ist die Tochter eines flüchtigen Clan-Chefs. Am Anfang des Films wird sie von ihrer Tante, bei der sie seit dem frühen Tod der Mutter lebt, wie Schmuggelware an einen Kurier übergeben. Der bringt sie nach Korsika zum Vater, den sie kaum kennt. In einer Villa an der Küste hat Pierre-Paul (Saveriu Santucci) im Kreis seiner Anhänger vorübergehend Unterschlupf gefunden. Über den Bildschirm flimmern Nachrichten über ein Autobombenattentat auf einen sozialistischen Abgeordneten. Irgendetwas braut sich zusammen.

Von den Rändern her

Von den Rändern wirft Julien Colonna den Blick auf eine Welt, die im Genre des Mafia-Films üblicherweise das glanzvolle Zentrum ist. Hier ist nicht nur die opernhafte Größe auf ein karges Dasein zusammengeschrumpft, das aus Warten, Auskundschaften und Verstecken besteht. Die Perspektive gehört ganz der jugendlichen Protagonistin, die das, was sich um sie herum ereignet, zunächst nicht begreift. Colonna zeigt immer wieder ihr fragendes Gesicht, die großen Augen, die sie auf die Männerwelt richtet: in die Jahre gekommene Typen mit gegerbter Haut, Halbglatzen und Bauchansatz. Blicke auf Gesten, auf kurze Umarmungen und Unterhaltungen, bei denen die Köpfe zusammengesteckt werden. Wo er die letzten Monate war, will Lesia wissen. „Hier und dort.“ Wohin er gehe. „Ich treffe jemanden“. Erst im letzten Teil des Films wird Lesias Perspektive aufgegeben. „Kingdom“ mündet dann in ein effizient und knapp inszeniertes Rachestück.

Zunächst aber weiß der Film auch nicht mehr als Lesia. Die Zusammenhänge bleiben diffus. Wie ein unabwendbarer Mechanismus bahnt sich ein Krieg zwischen Clans an, der auch Vater und Tochter immer enger aneinanderbindet. Aufbrüche, Fluchten, ein neuer Unterschlupf, ein neues Bett, flüchtige Begegnungen und der erhaschte Blick auf einen halb weggeschossenen Kopf. Dazwischen kurze Auszeiten mit dem Vater: eine Angeltour, eine Jagd, ein Ausflug an einen Fluss. Allmählich befreit sich Lesia aber aus der Rolle der passiven Beobachterin, wird Vertraute und Mitakteurin. Als ein Waffenlager für den bevorstehenden Rachefeldzug ausgegraben wird, nimmt sie die Schaufel in die Hand.

Mit autobiografischer Grundierung

„Kingdom“ spielt Mitte der 1990er-Jahre, die Ereignisse sind fiktiv, aber lose an autobiografische Erfahrungen angelehnt. Julien Colonna ist der Sohn von Jean-Baptiste „Jean-Jé“ Colonna, dem 2006 ums Leben gekommenen mutmaßlichen Mafia-Paten. In einem Interview erzählte Colonna, wie er im Alter von 15 Jahren die Tötung des Vaters miterlebte und sechs Jahre lang wartete, bevor er Blutrache übte: „Jeden Morgen wachte ich auf und fragte mich, wie ich das Versprechen, das ich über der Leiche meines Vaters gegeben hatte, einlösen könnte. Ich schäme mich weder für meine Tat, noch bin ich stolz darauf; ich musste es tun, um mich selbst im Spiegel ansehen zu können.“

Im Film sind die Sätze in eine zentrale Szene zwischen Vater und Tochter eingewoben. Erstmals teilt Pierre-Paul seine Erinnerungen an die Jahre in Brasilien, wo er mit Frau und Kind relativ unbeschwert lebte, bevor sie aufgespürt wurden. Er entschuldigt sich für das Leben, das er ihr aufbürdete. Zugleich hält er daran fest wie an einem unumstößlichen Gesetz.

Zeit mit dem Vater

„Kingdom“ ist ein Film mit begrenztem Radius und zirkulären Bewegungen. Immer wieder sieht man die Gesten der Männer, ihr Schweigen, die Fernsehbilder von durchsiebten Autos und den Porträts der jüngsten Attentatsopfer, Lesias große, fragende Augen. Die Beschränkung und das Rohe, gepaart mit dem Spiel von Laien – die Darstellerin der Lesia ist bei der freiwilligen Feuerwehr und angehende Krankenpflegerin, ihr Filmvater Hirte und Bergführer – hat durchaus etwas Reizvolles. Dennoch wirkt „Kingdom“ vor allem im Hinblick auf die Entwicklung des Teenagers etwas unausgearbeitet. Einer fremden Frau gegenüber gesteht Lesia einmal ihren Widerwillen gegen das Jagen. Sie tue es nur, um Zeit mit ihrem Vater zu verbringen.

Veröffentlicht auf filmdienst.deThe Kingdom - Die Zeit die zähltVon: Esther Buss (8.10.2025)
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