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Timeswings - The Art of Hanne Darboven

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Sie war ein weiblicher Dandy und so exzentrisch, dass der "Spiegel" schrieb, im Vergleich zu ihr sei Joseph Beuys direkt normal gewesen. Die Künstlerin Hanne Darboven trug ihre Konzeptkunst über jede Grenze, übersetzte sie sogar in Kompositionen und rechnete Bilder in Minimalmusik um. Durch ihre visionäre Beschäftigung mit der Zahlen-Welt wurde sie zu einer frühen Computerkünstlerin. Regisseur Rasmus Gerlach kannte die 2009 verstorbene Hamburgerin persönlich und filmte 2001 an ihrem 60. Geburtstag, als ihr Orgelkonzert in der Laeizhalle aufgeführt wurde. Von Bernhard Berz, Darbovens Hausfotograf und Tonassistent, und anderen Mitarbeitern lässt er sich durch ihr altes Bauernhaus führen, wo die weltberühmten Werke aus Platzmangel unter der Decke hängen. Ein assoziatives Porträt einer großen Hamburger Künstlerin. (Quelle: Verleih)
Die berühmte deutsche Minimal- und Konzeptkünstlerin Hanne Darboven widmete sich bei ihrem Schaffen größtenteils einem kaum fassbaren Sujet: der Zeit. 1941 als Tochter eines Hamburger Kaufmannspaares geboren, studierte Darboven an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg, bevor sie nach New York aufbrach und dort, zunächst fernab der Kunstwelt, ihren eigenen Stil festigte: In strengen Strukturen und nach selbstgewählten Codierungen schrieb sie Zahlen und mathematische Berechnungen nieder, machte Zeitabläufe in Schrift und Bild sichtbar, wandelte diese verbildlichten Zeiträume wiederum in Töne um und ließ so Musik aus Daten entstehen. Filmemacher Rasmus Gerlach kannte die 2009 verstorbene Künstlerin persönlich – durch ihre Kunstwerke, den Besuch ihres Bauernhauses in der Nähe Hamburgs und Gespräche mit Freunden und Kollegen porträtiert er in seinem Dokumentarfilm das Schaffen von Hanne Darboven.
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Sie war so etwas wie eine Buchhalterin der Zeit. Deren unaufhaltsames Vergehen nutzte Hanne Darboven (1941-2009), um Räume vollzuschreiben, wie sie es selbst nannte. Die Konzeptkünstlerin setzte sich mitten in der Nacht in ihrem Bauernhaus in Hamburg an den Schreibtisch und kritzelte sieben Stunden lang Kalender und andere Notizbücher mit Noten, Texten und Zahlenreihen voll. So glaubte sie, einen Hauch von Kontrolle über ein Phänomen auszuüben, mit dem sich zur gleichen Zeit auch andere Konzeptkünstler auf ähnlich manisch disziplinierte Weise beschäftigten, etwa der Japaner On Kawara, der täglich das jeweilige Datum in seine berühmten Date Paintings bannte oder der Pole Roman Opalka. Auch ihn trieb die Frage der Zeitlichkeit auf Leinwänden um, die er mit dem Pinsel von links nach rechts mit aufeinander folgenden Zahlen Richtung Unendlichkeit beschrieb. Seltsamerweise greift Regisseur Rasmus Gerlach diesen Kontext einer spezifischen Kunstbewegung nicht auf und lässt so den Eindruck entstehen, als sei Darboven mit ihrer Zeitobsession ein Unikat gewesen. In ihrer extravaganten Selbstinszenierung als Kurzhaarschnitt-Dandy mit androgynem Kleidungsstil und einer eremitenhaften Zurückgezogenheit auf dem Land war sie das durchaus. Gerlach, ein ehemaliger Kunststudent und Darboven-Schüler, lässt in den von ihm aus dem Off kommentierten Erzählfluss Aufnahmen von der großen Retrospektive im Haus der Kunst in München einfließen, aber auch Konzerte mit den mathematisch inspirierten Kompositionen Darbovens. Er interviewt Ausstellungsmacher wie Okwui Enwezor oder Kasper König über ihre Erinnerungen an Darboven. Auch die vielen Mitarbeiter, vom Tierarzt bis zum Tischler, werden vor Ort in Darbovens Hausatelier mehr als ausführlich über ihr Verhältnis zur sonderbaren Arbeitgeberin befragt. Dazwischen sind biografische Anekdoten in chronologischer Reihenfolge gestreut. So berichtet Rainer Langhans von der gemeinsamen Internatszeit mit Darboven oder wird die Anwesenheit des frühverstorbenen fünften „Beatles“ Stuart Sutcliffe an der Hamburger Kunsthochschule angetippt. Der für ihre Entwicklung wichtige Aufenthalt der jungen Darboven in New York wird im Vergleich dazu erstaunlich salopp abgehakt. Am spannendsten ist der etwas holprig geschnittene, ostentativ antididaktische und ganz auf seinen assoziativen Fluss setzende Film immer dann, wenn Darboven selbst in Archivaufnahmen zu Wort kommt und ihren berüchtigten hanseatischen Charme verbreiten darf. Dann erschließt sich ganz von selbst, warum die wohlhabende Kaufmannstochter mit einer ausgeprägten Sammelwut für Krimskrams vom Flohmarkt heute als eine der wichtigsten Figuren der deutschen Nachkriegskunst gilt.

Veröffentlicht auf filmdienst.deTimeswings - The Art of Hanne DarbovenVon: Alexandra Wach (28.8.2025)
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