Filmplakat von TO THE ENDS OF THE EARTH

TO THE ENDS OF THE EARTH

120 min | Drama
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Filmkritik

Kiyoshi Kurosawa ist nicht unbedingt der erste Regisseur, an den man sich als Tourismusverband wenden würde. Seine Heimat Japan zeigt er als verfallenen Albtraum, als in Beton gegossenen, menschenfeindlichen Nicht-Ort. Was man liebt, möchte man nicht durch seine Augen sehen, und was man bewerben möchte, wohl noch viel weniger. Und doch ist sein neues Drama „To the Ends of the Earth“ das Ergebnis einer kuriosen Zusammenarbeit zwischen dem usbekischen Tourismusverband, ihrem Kino-Ableger „Uzbekkino“ und einigen japanischen Produktionsfirmen. Er wurde in Auftrag gegeben, um die nunmehr ein Vierteljahrhundert alten diplomatischen Beziehungen zwischen Japan und Usbekistan zu würdigen. Das Ergebnis zeigt, wie sich Entstehungsprozesse in ein fertiges Kunstwerk einbrennen können. Ein Film über Fremdheit und Vermittlung, über den Blick auf die Welt mit und ohne Kamera, vor allem aber einer über das schöne und schreckliche Gefühl, sich zu verlaufen. Ein Film, mit dem man sich gerne verläuft.

Wo niemand dich kennt, kannst du sein, wer du willst

Schon eine kurze Beschreibung der Handlung verdeutlich, wie unmittelbar „To the Ends of the Earth“ seine eigene Entstehung widerspiegelt. Ein kleines japanisches Fernsehteam dreht eine Reportage über die Kultur Usbekistans, einen fluffigen Reisebericht über Land und Leute. Die Moderatorin Yoko (gespielt von der ehemaligen Pop-Sängerin Atsuko Maeda) findet sich in der Fremde nur schwer zurecht. Die Usbeken bedenken sie mit teils neugierigen, teils feindseligen Blicken. Die Sprache ihrer männlichen Arbeitskollegen kann sie zwar verstehen, was aber nicht heißt, dass die Kommunikation viel besser gelingt. Meistens steht sie ein wenig abseits, wird herumkommandiert und für die Kamera in Stellung gebracht. In den Hotels langweilt sie sich schnell, doch die Straßen und Märkte sind laut, verwinkelt und chaotisch. Zwischen Dreharbeiten und Irrfahrten durch Taschkent und andere Städte erinnert sie sich an einen alten Traum: eigentlich wollte sie Sängerin werden.

So wird Usbekistan zur Bühne lange verborgener Sehnsüchte. Wo niemand dich kennt, kannst du sein, wer du willst. Zumindest theoretisch.

Kurosawa wälzt Yokos Zweifel nicht in endlosen Dialogen aus, sondern präsentiert ihr Ringen mit sich selbst als Sammlung von kleinen Episoden. Viele verlaufen fast wortlos. Am meisten ereignet sich in „To the Ends of the Earth“ in der Bewegung durch urbane Räume. Vielsagende Blicke beim Busfahren. Yokos etwas beschleunigter Schritt, wenn sie spätabends an einer Männergruppe vorbeimuss. Straßenhändler, die aggressiv herbeispringen. Polizisten, die wohl auch dann einschüchternd wären, wenn man sie verstehen könnte.

Suche oder Flucht?

Fast wie beim Sightseeing geht es von Station zu Station. Zuerst soll im Aydarsee ein mythischer Fisch namens „Bramul“ gefangen werden. Als sich nicht einmal ein Wels zeigt, gibt ein örtlicher Fischer der Präsenz einer Frau die Schuld. Besonders lustig und bezeichnend ist ein Freizeitparkbesuch, in dem sich die arme Moderatorin dreimal schreiend und würgend von einem Fahrgeschäft quälen lässt. Immer wieder neu lässt der Drehleiter sie durch die Luft wirbeln. Als er beim dritten Mal selbst mitfährt, stellt er am Ende überrascht fest: „Oh, das war ganz schön heftig.“ Es macht eben einen Unterschied, ob man filmt oder teilnimmt.

In einer späten Sequenz wird „To the Ends of the Earth“ ein Paranoia-Thriller. Yoko hat sich mit einem Camcorder in der Hand vom Team wegbewegt, eine Katze gejagt und steht plötzlich unglücklicherweise vor einem Gebäude, das sie nicht filmen darf. Als Uniformierte sie bedrängen, flieht sie. Kurz durchmisst sie die Bilder wie in einem alten Noir-Streifen. Ohnehin flieht sie oft, Suche und Flucht sind bei ihr manchmal schwer zu unterscheiden.

Kunst als Teleportation

Man bekommt den Eindruck, sie strebe zum unsichtbaren Zentrum eines Labyrinths. (Einmal findet sie dort eine Ziege.) Die Art und Weise, wie es sie immer wieder in die Suchbewegung drängt, erzählt davon, dass etwas in ihrem Leben fehlt. Sie schaut gierig, weil es mehr geben muss als das, was sie kennt. Manchmal fällt kurz die Exotik der Orte von den Ereignissen und man stellt sie sich exakt so einsam, verloren und missverstanden in Japan vor. Ins Kino gehen heißt oft: fremd sein. Menschen betrachten, die man nicht kennt, Orte besuchen, die es nicht gibt. Seit seiner Jahrmarktszeit wirbt das Kino auch um Touristen, mit dem Versprechen, die Distanz aufzulösen. Kunst als Teleportation. Kurosawa zeigt auf: Kino und Reisen können eine falsche Nähe schaffen.

Auch Yoko begegnet auf ihrer Reise vor allem sich selbst, in der schönsten Szene des Films sogar ganz konkret. Sie betritt beim Flanieren zufällig einen wunderschönen Konzertsaal. Ein stummes Orchester scheint auf ihre Ankunft zu warten. Die Musik setzt ein, und die junge Moderatorin stimmt eine schmachtende Ballade über Liebe, Sehnsucht und das Ende der Welt an. Irgendwann ein Schnitt aufs Publikum, auf die einzige Zuschauerin: Yoko. Auch damit, neben dem eigenen Leben zu stehen, nur zuzuschauen, hängt ihr großer Schmerz zusammen.

Lektionen im Verirren

Die Reise wirkt deshalb oft wie Ablenkung. Zielgerichtete Bewegung, die das Denken verhindert anstelle vom Verirren und Verlorengehen, das schon selbst ein Denken ist. Vielleicht wie bei Walter Benjamin: „Sich in einer Stadt nicht zurechtfinden heißt nicht viel. In einer Stadt sich aber zu verirren, wie man in einem Walde sich verirrt, braucht Schulung.“

Lektionen im Verirren, die der Film nur allzu gerne erteilt. In manchen Szenen von „To the Ends of the Earth“ erahnt man eine Verwandtschaft zu Valeska Grisebachs Meisterwerk „Western“, das sich gemeinsam mit einer Gruppe von deutschen Bauarbeitern in Rumänien auf die Suche nach den universellen Gesten und Stimmungen jenseits der Sprache macht. Weil Yoko viel Unangenehmes passiert, könnte man hinterfragen, ob das Geld von Tourismusverband und Co., die eine diplomatische Beziehung ehren wollten, so gut angelegt war. Weder die Japaner noch die Usbeken kommen sonderlich gut weg. Dann aber blickt man auf die Momente, in denen auch ohne Worte Verständnis eintritt, oder zumindest Akzeptanz. Kunst, Diplomatie und Reisen finden dann in einer Feststellung zusammen. Manchmal ist das Nichtverstehen nicht die Katastrophe, sondern heilsam. Im Nichtverstehen begegnet man dem Anderen und nicht mehr sich selbst. Beim zweiten Mal singt Yoko für sich allein, und da ist weit und breit kein Publikum.

Erschienen auf filmdienst.deTO THE ENDS OF THE EARTHVon: Lucas Barwenczik (24.1.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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