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Vereinzelt Sonne

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David hat sich bereits erfolglos durch mehrere Entzüge gequält, und auch der aktuelle Versuch in einer Klinik endet mit einem Abbruch. Die Freude an seiner Rückkehr zur Freiheit und Sucht wird jedoch jäh gedämpft, als sich ihm alle üblicherweise offenstehenden Türen unerwartet verschließen. Hoch verschuldet verliert er seine Wohnung, seine depressive Mutter entzieht ihm aus unfreiwilligem Selbstschutz jegliche Unterstützung, und es mangelt ihm an Geld und Drogen. Auch sein Sozialarbeiter Stefan lässt ihn nur widerwillig bei sich übernachten – und das auch nur, um ihn am nächsten Tag zurück in den Entzug zu bringen. David flieht in den nächtlichen Exzess, was mit einem monumentalen Filmriss endet.

Leider gibt es keine Kinos.

Gäbe es einen Preis für den grauesten Film des Jahres, wäre „Vereinzelt Sonne“ ein starker Kandidat. Trotz des Titels ranken sich fast permanent dichte Wolkenteppiche um unfreundliche Betonhochhäuser. In einer Therapiesitzung streift die Kamera von einer Person zur nächsten und schwenkt dabei endlose Sekunden karge Wände entlang. Sogar der Rhein scheint jegliche Farbe verloren zu haben. Nicht einmal das Blut an Davids Händen ist richtig rot. Vor dem Hintergrund dieser entsättigten Großstadttristesse skizziert Regisseur und Autor Lucas Dülligen in seinem Spielfilmdebüt das deprimierende Leben eines jungen Mannes, für den es wenig Lichtblicke und kaum Hoffnung auf Erlösung gibt.

Immer wieder hinaus in die Kölner Nacht

Es dauert eine ganze Weile, bis David (Lasse Claßen) seinen ersten Satz spricht. Als ein Arzt einer Patientengruppe erklärt, dass Drogenabhängigkeit die Hölle sei, platzt als Antwort aus ihm heraus: „Das hier ist die Hölle.“ Er flieht kurzentschlossen aus der Institution und sucht die Personen auf, die ihm etwas Halt, etwas Geld oder beides geben könnten. Doch seine entfremdete Familie und vermeintlichen Freunde lassen ihn in unterschiedlicher Intensität abblitzen. Selbst Begegnungen, die zuversichtlich beginnen, enden damit, dass David wieder hinaus in die Kölner Nacht muss, um weiter nach etwas zu suchen, was er vielleicht selbst nicht beschreiben kann.

Die Geschichte, die der Film verfolgt, beginnt emotional auf einem Tiefpunkt – und von dort an geht es nur weiter bergab. Die stoische Weigerung, dem Protagonisten auch nur die kleinsten Triumphe zuzugestehen, verlangt dem Publikum eine gewisse Energie ab. Der sich wiederholende Ablauf von Aufeinandertreffen, Konfrontation und Abweisung variiert zwar in seinen Einzelheiten, bleibt aber stimmungsmäßig die komplette (angenehm kurze) Laufzeit über ähnlich destruktiv. Um sich auf diese Erzählstruktur einzulassen, muss von Beginn an ein gewisses Grundmitleid mit dem gescholtenen David vorhanden sein, ansonsten stumpft man emotional gemeinsam mit ihm nach und nach ab.

In Echtzeit an Davids Perspektive gekettet

Davids Abwärtsspirale ist auffallend entschleunigt inszeniert. In vielen Szenen wird kaum geschnitten, stattdessen werden die ausgedehnten Kameraeinstellungen genutzt, um große Momente und Banalitäten gleichermaßen einzufangen. Diese gefühlte Belanglosigkeit gibt dem Film häufig einen geradezu dokumentarischen Unterton. Das Publikum ist meistens in Echtzeit an Davids Perspektive gekettet und muss die emotionalen Explosionen ebenso vertragen wie das richtungslose Geschwafel dazwischen. In manchen Szenen raucht David einfach stumm eine Zigarette – in anderen wird getanzt, gekämpft, gebrüllt. Beides wird mit dem gleichen eiskalten Blick einer Kamera, die schmerzhaft lange weiterläuft, eingefangen.

„Vereinzelt Sonne“ lebt von dieser Authentizität, doch fühlt der Film sich durch sein strenges Stilkonzept immer wieder etwas schwerfällig an. Situationen wirken echt, aber die dazugehörigen Dialoge sind häufig hölzern. Die Vorblende zu Beginn des Filmes, in der David blutverschmiert aus dem Bild läuft, fühlt sich schmerzhaft kalkuliert an. Jemand hat vielleicht den Rat gegeben, mit einem Knall anzufangen, um die darauffolgende Gemächlichkeit mit Spannung aufzuladen. Jemand anders hat bedauerlicherweise auf diesen Rat gehört, anstatt sich auf seine wahren Stärken zu verlassen. Es gehört eine gewisse Finesse dazu, um die dramaturgischen Entscheidungen eines Filmes zu verstecken und sie organisch wirken zu lassen, doch bei „Vereinzelt Sonne“ hat man beinahe das Gefühl, das Konzeptpapier hinter dem Film mitlesen zu können.

Zwei Konzepte ringen miteinander

In Lucas Dülligens Film ringen zwei Konzepte miteinander: das aufrichtige, kunstvolle Porträt eines jungen Mannes in einer Welt, die ihn nicht versteht – und die verkopfte Idee dieses Porträts. Die Handschrift des Regisseurs ist ebenso zu sehen wie das starre Gerüst, an dem sich diese Handschrift orientiert. Es kommt ein Film heraus, der häufig mit der Leinwand liebäugelt, sich aber ebenso häufig anfühlt, als sei er explizit dafür konzipiert worden, sein Dasein in den Mediatheken der Öffentlich-Rechtlichen zu fristen. Ein Kampf, den viele Nachwuchsfilme auszufechten haben: Einerseits der Wunsch nach dem Kinopublikum, andererseits die Abhängigkeit von Förderungen, Festivals und Rundfunk, die das fertige Werk beeinflussen.

Die Vision, die hinter dem Film steckt, blitzt zumindest vereinzelt durch diesen Grauschleier und kann sich vielleicht in kommenden Werken komplett davon befreien. Bis dahin bietet „Vereinzelt Sonne“ einen interessanten Einblick, wie vielversprechend ein deutscher Nachwuchsfilm aussehen kann – und wo er noch Luft nach oben hat.

Veröffentlicht auf filmdienst.deVereinzelt SonneVon: Christoph Dobbitsch (7.8.2025)
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