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Filmkritik
„Keine Sorge, Frau Sauer, steigen Sie ein!“ Die Frauen, die im Herbst 1943 aus ostpreußischen Dörfern von SS-Männern eingesammelt werden, wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Wohin bringt man sie, warum, wann können sie zu ihren Angehörigen zurück? Weil der Film konsequent auf der Augenhöhe der Protagonistin Rosa Sauer (Elisa Schlott) erzählt ist, bleibt das Publikum zunächst ebenso im Ungewissen wie sie selbst – auch wenn der Titel „Die Vorkosterinnen“ freilich einen Vorgeschmack auf das Kommende gibt.
Bald ist auch im Film klar: Die Frauen werden zur Wolfsschanze gebracht, Hitlers Hauptquartier und häufigstem Aufenthaltsort in den Weltkriegsjahren. Dort sollen sie mittags und abends die Mahlzeiten des Diktators vorkosten, um eine Vergiftung des Essens auszuschließen. Eine nicht ungefährliche Aufgabe, die mit 200 Reichsmark im Monat bezahlt wird. Alles muss geschluckt und in sich behalten werden, dann wird eine Stunde auf mögliche Symptome gewartet, bevor Hitler dasselbe Essen serviert bekommt.
Im Geist von Guido Knopp
Im Geist des Populär-Historikers Guido Knopp, der in Dokumentationen wie „Hitlers Helfer“ sämtliche Lebensbereiche und Dunstkreise des NS-Diktators beleuchtet hat, erhalten nun also Hitlers Vorkosterinnen ihre filmische Betrachtung. Deren Existenz ist historisch allerdings nicht abschließend belegt. Die Prämisse des Films basiert auf dem 2018 veröffentlichten historischen Roman „Le Assaggiatrici“ der Italienerin Rosella Postorino, der sich wiederum an die Biografie der Zeitzeugin Margot Woelk anlehnt, die ihrer Schilderung zufolge eine der besagten Vorkosterinnen gewesen ist.
Ob historisch verbürgt oder fiktiv: Das Vorkosten allein trägt natürlich keinen abendfüllenden Spielfilm. Vielmehr dient das Konzept dem Regisseur und Mit-Autor Silvio Soldini („Brot und Tulpen“) als Aufhänger für ein Gesellschaftsbild in den letzten beiden Jahren des NS-Regimes. Kurz nach Beginn der Filmhandlung verliert die Wehrmacht die Schlacht um Stalingrad, ein Wendepunkt, der den Kriegsausgang besiegelt. Ab jetzt hagelt es Durchhalteparolen. Rosas Ehemann Gregor, der vier Wochen nach der Heirat als Freiwilliger an die Front zog, gilt als irgendwo in Russland verschollen – die Filmzuschauer werden ihn nie kennenlernen. Rosas Schwiegereltern, zu denen sie aus dem zerbombten Berlin ins ländliche Ostpreußen geflohen ist, sagen anfangs noch gebetsmühlenartig regimetreue Phrasen auf. Aber bald bröckelt die Fassade: „Er liebt Tiere und behandelt euch wie Versuchskaninchen“, kommentiert der Schwiegervater Rosas neue Verpflichtung und rät ihr dazu, abzuhauen.
Ein Dutzend Frauen im kargen Speiseraum
Der Fokus liegt auf dem Dutzend Frauen, die zusammen mit Rosa als Vorkosterinnen auserkoren wurden, und auf ihren Beziehungen untereinander. Sie sitzen immer wieder im kargen Speiseraum, werden von Wachen beäugt und zurechtgewiesen, vom Koch darüber unterrichtet, warum Hitler Vegetarier ist, und nach ihrer Meinung zu den Rezepten befragt: „Hat es Ihnen gemundet?“ Schon aus dramaturgischen Gründen bildet die Gruppe einen gesellschaftlichen Querschnitt, bei dem es immer noch Fanatisierte und längst Resignierte gibt – und eine, die eigentlich untergetaucht ist und in Lebensgefahr schwebt. Die einen sagen: „Der Krieg nimmt uns alles weg“, während andere sich brennend für Hitlers Lieblingsspeise interessieren. Es gibt Spannungen in der Gruppe und ein blaues Auge, aber auch Zusammenhalt, wenn eine der Frauen ungewollt schwanger wird und eine private Abtreibung organisiert werden muss. Und mit Elfriede (Alma Hasun) verbindet Rosa bald eine Freundschaft.
Hinzu kommt Rosas heimliche Affäre mit dem Obersturmführer Albert, den Max Riemelt in einer schauspielerisch starken Leistung als unberechenbares Pulverfass anlegt. Erst wirkt er wie eine allzu simple Nazi-Karikatur. Doch dann blitzen auch andere Seiten auf. Einmal schneidet der SS-Mann in tiefdunkler Nacht die Gräuel an, die er erlebt und mitgestaltet hat. „Männer, Frauen, Kinder“; damit ist alles gesagt. Aber die Rechtfertigung hat er sofort parat: „Die sind nicht wie wir.“
Stringent aus Rosas Perspektive
Inszenatorisch zieht der erdig-graue Film mit seiner gedrückten Stimmung einen Reiz daraus, dass er stringent aus Rosas Perspektive erzählt ist. Einmal erhascht sie einen Blick durch eine leicht geöffnete Tür in einen Raum, wo scheinbar hochrangige Männer zusammenstehen – womöglich auch Hitler, der im sonstigen Film nie zu sehen ist. Oftmals geht die Kamera hinter Rosa her. Besonders auffallend ist die subjektive Perspektive beim Stauffenberg-Attentat auf Hitler: Die Vorkosterinnen hören eine Explosion, SS-Männer rennen durcheinander, bringen die Frauen ins Haus, die wieder einmal nicht wissen, was vor sich geht. Andere Aspekte der Inszenierung, vor allem die generisch dramatische Musikuntermalung, wirken indes tonal unausgereift und abgegriffen.
„Die Vorkosterinnen“ vermittelt ein plastisches Gefühl des Ausgeliefertseins in einem autoritären System, was für die besten Momente des Films sorgt. Insgesamt wirken die Dramaturgie und das von sechs Autorinnen und Autoren geschriebene Drehbuch aber zu zerfasert und träge, um den guten Ansätzen wirkliche Durchschlagskraft zu verleihen. Zu viel wird über lange Dialoge erzählt, zu oft schimmert die Konstruktion hinter den Ereignissen durch. So erreicht Soldinis Film nie die Intensität von Andreas Dresens Meisterstück „In Liebe, Eure Hilde“, das einen ähnlichen Ansatz verfolgt, bleibt aber ein solides Geschichtsdrama mit einem individuellen Blickwinkel auf Bodenhöhe.