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We're All Going to the World's Fair

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Die zurückgezogene Jugendliche Casey verliert zunehmend ihren Bezug zur Realität nachdem sie in die Fänge eines mysteriösen Onlinespieles gerät.

Leider gibt es keine Kinos.

Unbeholfen übt Casey (Anna Cobb) immer wieder den Einstiegssatz für ihren Livestream. Das Glühen des Bildschirms lässt den Schweiß auf ihrem ungeschminkten Gesicht glänzen. Verhuscht bringt sie endlich hervor: „Hey guys, it’s Casey. Welcome to my channel.“ Dann sticht sie sich in den Finger und verreibt ihr Blut über den Computerbildschirm. Die „World’s Fair Challenge“, an der Casey teilnimmt, ist ein unheimliches Internet-Ritual. Wer mitmacht, wird sich irgendwann körperlich verändern oder von einer übernatürlichen Macht beherrscht, heißt es in der Community. Bis dahin geht es darum, „mitzuspielen“. Doch was genau das „Spiel“ ist und wie die Regeln lauten, erklärt niemand – nur, dass es wichtig ist, alles zu filmen und zu teilen. Darum wartet Casey ab, lädt weiter Video um Video hoch und scheint bald selbst nicht mehr zu wissen, wo das echte Leben aufhört und das Spiel beginnt.

Creepypasta statt Britney Spears

Eine alles erstickende Einsamkeit durchzieht „We’re All Going to the World’s Fair“. Caseys Videos sind vergebliche Kontaktversuche mit dem Rest der Welt, auf die jedoch nur eine einzige Person reagiert: ein Mann mittleren Alters, der ihr verstörende Clips und Einladungen zu Skype-Calls zuschickt. Abgesehen davon ist Caseys einzige Gesellschaft der endlose Schwall an Online-Videos, die sie bis in die frühen Morgenstunden anschaut.

Angesiedelt ist der Film in den frühen 2000er-Jahren. Regisseurin und Autorin Jane Schoenbrun blickt in die Phase ihrer eigenen Jugend zurück. Dabei gelingt es ihr aber, nicht in Nostalgie zu verfallen, sondern die Schattenseiten greifbar zu machen. Das wohlige „Wisst ihr noch?“-Gefühl, das in vielen Filmen und Serien mitschwingt, in denen Filmemacher die Ära ihrer Kindheit oder Jugend heraufbeschwören, ist in Caseys Welt komplett abwesend. Vielleicht gibt es irgendwo wilde Partys, auf denen Teenies in schrillen Klamotten Britney-Spears-Songs mitgrölen – aber auf diese Partys wäre jemand wie Casey sicherlich nicht eingeladen. Stattdessen erinnert der Film daran, dass in diesen Jahren „Paranormal Activity“ in den Kinos lief und die ersten „Creepypasta“-Horrorgeschichten in Online-Foren kursierten.

Es war die Zeit, als die Webserie „Lonelygirl15“ gedreht wurde: Ein Vlog, der sich nach und nach zum Krimi wandelt – und von den Fans für echt gehalten wurde. Das vergleichsweise junge Massenmedium Internet befand sich in einer Phase, in der damit gespielt wurde, was Realität und was Fiktion ist. Schoenbrun schafft es, das Publikum in genau diese Situation zu versetzen und immer wieder die Frage aufkommen zu lassen, ob man einem ungewöhnlich erzählten Drama oder einem übernatürlichen Horrorfilm folgt. Vielleicht bewahrheiten sich Caseys Ängste, und die Geister werden bald aus dem Monitor klettern und sie mitnehmen. Vielleicht aber bleibt sie einfach nur ein junges Mädchen, das für den Rest der Welt ohnehin schon immer unsichtbar war.

Mehr Form als Film

Obwohl der Blick in Caseys Leben geradezu deprimierend authentisch wirkt, bleibt „We’re All Going to the World’s Fair“ häufig mehr Form als Film. Schoenbrun vermengt den Found-Footage-Stil aus „Paranormal Activity“ mit der Ästhetik früher Internetvideos. Dabei kommt eine multimediale Mischung heraus, die ihre Vorlagen teilweise fast zu treu imitiert. In langen, ungeschnittenen Szenen passiert häufig wenig; dann wird zurückgespult, damit noch weniger passiert. Andere Sequenzen bestehen aus bildschirmfüllenden Webvideos, die in voller Länge wiedergegeben werden, bis ein Ladebildschirm sie unterbricht und das nächste beginnt. Auf einer konzeptionellen Ebene funktionieren diese Kunstgriffe; sie vermitteln das Lebensgefühl einer einsamen Teenagerin, die zu lange online ist und zu viele verstörende Videos schaut. Doch das ändert nichts daran, dass man in einigen Momente selbst nach dem Skip-Button sucht, um zur nächsten spannenden Szene zu gelangen.

Eine stimmige Referenz

„We’re All Going to the World’s Fair“ ähnelt in vielen Bestandteilen dem späterer Film „I Saw the TV Glow“ (2024) von Jane Schoenbrun. Beide handeln von Isolation und Medienkonsum und von den fließenden Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Es wird mit Transmedialität gespielt und ein ohrwurmlastiger Indie-Soundtrack aufgelegt. Doch der direkte Vergleich macht klar, wie sehr sich Schoenbrun als Regisseurin weiterentwickelt hat. „I Saw the TV Glow“ ist cinematischer, dichter, stimmiger. Die Filmemacherin muss sich nicht mehr zwischen Stil und Story entscheiden, sondern zeigt, dass sie auch beides gleichzeitig auf die Leinwand bringen kann. Das macht „World’s Fair“ zwar zum schwächeren Film, aber gleichzeitig zu einem interessanten Referenzstück. Er bleibt stimmungsvolles Kunstkino einer Regisseurin, die ein enormes Potenzial beweist, aber ihre filmische Ausdruckskraft noch nicht vollends gefunden hat.

Veröffentlicht auf filmdienst.deWe're All Going to the World's FairVon: Christoph Dobbitsch (6.10.2025)
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